"Fahrradautobahn" mit Ansage: Der Plan, an Hauptverkehrsstraßen jährlich fünf Kilometer geschützte Radwege in einer Breite von 2,30 Metern anzulegen, war eine der Forderungen beim Radentscheid, aus dem im November 2019 der Rat der Stadt mit den Stimmen von Grünen, CDU und SPD einen Ratsbeschluss machte. Jetzt alleine über die Grünen zu schimpfen, wenn es um den Umbau der Lütticher Straße geht, geht an der Sache vorbei. Die beiden Altparteien hängen genauso mit drin, sind nur durch ihre Niederlage bei der Wahl elegant den Schwarzen Peter losgeworden. |
28. November 2020
31 Einfahrten an der Fahrradautobahn:
Alle paar Meter ein Loch im Mäuerchen
In Argentinien stirbt Fußball-Legende Diego Maradona, und in Australien betrauern auf Twitter mehr als 100.000 Nutzerinnen und Nutzer mit offensichlicher Leseschwäche den Tod von Pop-Ikone Madonna. Tja, man muss schon genau hingucken, was da steht.
Das hätten CDU und SPD besser auch getan, bevor sie sich aus Angst vior einer Wahlniederlage im November vergangenen Jahres den Grünen an den Hals warfen und ihre Händchen für die kleine aber dafür umso lautere Gruppe hinter dem Radentscheid hoben.
Jetzt ist nicht nur bei der alten Rathaus-Mehrheit das Erstaunen groß, mit welchem Schwung sich die größte Fraktion nach der Kommunalwahl daran macht, die Stadt verkehrstechnisch auf den Kopf zu stellen. Schnelligkeit scheint dabei vor den Interessen der Betroffenen zu rangieren, und so ebbt das Entsetzen über die Pläne für die mittlere Lütticher Straße nicht ab.
"Akzeptanz für Anliegerbeiträge erhöhen"
In der Bäckerei Mannebach füllen sich die Unterschriftenlisten gegen die geplante Baumaßnahme, während sich immerhin nach 14 Tagen Bedenkzeit als erste der beiden großen Oppositionsparteien die CDU zu Wort meldet. Wer allerdings erwartet hatte, dass die Christdemokraten zu den unfassbaren Umbauplänen Position beziehen, wird sich am Freitag bei der Lektüre von AZ und AN die Augen gerieben haben.
In einer kurzen Notiz ließ sich die mobilitätspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, Gaby Breuer, nur dahingehend vernehmen, dass man durch eine rechtzeitige Bürgerbeteiligung bei den Anwohnern die Akzeptanz für die nach dem Umbau fälligen Anliegerbeiträge erhöhen wolle. Der entsprechende Ratsantrag sei auf dem Weg.
"Wer auf die Gestaltung einer Straße Einfluss nehmen kann, wird sich eher mit ihr identifizieren und sie als seine oder ihre Straße begreifen", lautet Gaby Breuers Zauberformel. Das sind ja völlig neue Erkenntnisse.
Nur nochmal zur Erinnerung: Hätte ich hier nicht am Wochenende vor der Sitzung der Bezirksvertretung Aachen-Mitte noch vor AZ/AN und dem WDR auf den entsprechenden Tagesordnungspunkt aufmerksam gemacht und die Anwohner aufgeweckt, wäre die Geschichte (höchstwahrscheinlich auch mit den Stimmen der CDU) am 11. November durchgewunken, und die Anwohner wären vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Ohne jede Bürgerbeteiligung, so wie es derzeit auch die Anwohner der Ludwigsallee erfahren müssen.
Ob allerdings Gaby Breuers Rechnung für die Anwohner
Unsere Parkplätze sind weg
+ wir dürfen das auch noch bezahlen
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= aber wir finden das jetzt alles ganz toll!
aufgeht, wage ich zu bezweifeln.
31 Einfahrten auf rund 500 Metern, dazu der Hasselholzer Weg. Man darf heute schon gespannt sein, wie Politik und Verwaltung das Problem der baulichen Trennung von Radweg und Fahrbahn lösen wollen, wenn der Bordstein-Riegel (hier ein Foto vom Pontwall) alle paar Meter unterbrochen werden muss. // Foto: Ulrich Simons |
Spannend dürfte auch werden, wie die Verwaltung die Forderung des Radentscheides umsetzt, den geschützten Radweg baulich von der Fahrbahn zu trennen. Mit kleinen Bordsteinen so wie am Pontwall, wo man noch die Spuren einer kürzlich kaltverformten Ölwanne besichtigen kann, dürfte es schwierig werden.
Auf der "Mannebach-Seite" zwischen Moreller Weg und Amsterdamer Ring habe ich am Freitag 31 Grundstückszufahrten gezählt, an denen der Schutzwall unterbrochen werden müsste. Hinzu kommt die Einmündung Hasselholzer Weg.
Berücksichtigt man weiterhin, dass die Stadt die Steine nicht bis unmittelbar an die privaten Zufahrten verlegen kann, weil sonst die Anlieger rechtwinklig auf ihr Grundstück einbiegen müssten, wird der größte Teil der "Fahrradautobahn" wohl auf die geforderte Abtrennung zur Fahrbahn verzichten müssen.
Auf der gegenüberliegenden Seite zwischen Hohenstaufenallee und Klemensstraße ist die Lage etwas entspannter, aber auch hier gibt es nach aktueller Zählung noch 14 Stellen, an denen Radfahrerinnen und Radfahrer Grundstückszufahrten überqueren müssen.
Bäume haben nun mal eine begrenzte Lebenszeit
Auch wenn die Verfasser des Rad(ikal)entscheids dies bei ihren Plänen offensichtlich nicht bedacht hatten: Ein breiter Zwei-Richtungs-Radweg unter den Bäumen wäre die praktikablere Lösung.
Dass Bäume in entsprechend abgesteckten Pflanzinseln durch vorbeifahrende Radfahrer geschädigt werden, glaubt doch kein Mensch. Wenn das so wäre, müsste man konsequenterweise auch sämtliche Mountainbike-Fahrer aus dem Aachener Wald entfernen.
Nicht nachvollziehbar ist auch, weshalb die Verwaltung auf einmal das Senkrechtparken zwischen den Bäumen als Problem ausgemacht hat. Zum einen kann man davon ausgehen, dass Bäume - ähnlich wie Menschen - eine begrenzte Lebensdauer haben. Diese Lebensdauer dürfte je nach Standort variieren. Stadtbäume haben nun einmal eine geringere Lebenserwartung als ihre Artgenossen im Wald.
Das ist bei Menschen ähnlich. Auch dort gibt es Berufe in Staub und Dreck wie z.B. den des Bergmanns oder des Tunnelbauers, wo eher gesundheitliche Probleme zu erwarten sind als bei anderen Tätigkeiten.
Mir ist auf Anhieb nicht bekannt, dass sich die Grünen mit ähnlichem Einsatz wie bei den Bäumen jemals für eine Verbesserung der dortigen Arbeitsbedingungen eingesetzt hätten.
Zum anderen hat die Verwaltung genau dieses Senkrechtparken durch entsprechende Beschilderung angeordnet.
Autos parken im mittleren Abschnitt der Lütticher Straße zwischen den Bäumen. Die Verwaltung spricht von "Wildwuchs". Fragt sich dann allerdings, wer das Schild dort aufgehängt hat. // Foto: Ulrich Simons |
Vermutlich wäre alles für die Anwohner der Lütticher Straße nicht so schlimm gekommen, wenn von ihnen ein paar mehr am Wahlsonntag den Hintern hochbekommen hätten. Und das gilt nicht nur für den Stimmbezirk "4806 Mittlere Lütticher Straße", der sich wie ein Schlauch entlang der Straße vom Morillenhang bis Grundhaus hinzieht, sondern für die ganze Stadt.
53,39 Prozent Wahlbeteiligung in der gesamten Stadt Aachen und nur 34,83 Prozent im Stimmbezirk 4806 Mittlere Lütticher Straße - da darf man hinterher nicht jammern, wenn etwas völlig anderes herausgekommen ist als man es sich vorgestellt hatte.
Fakt ist: Der große Wahlerfolg der Grünen, nicht nur im ehemals tiefschwarzen Aachener Südwesten, ist kein Ergebnis übermäßiger Zustimmung, sondern die Folge übermäßiger Gleichgültigkeit und Lahmarschigkeit auf der Gegenseite.
Bis zur nächsten Kommunalwahl haben Sie ja noch ein bisschen Zeit, mal drüber nachzudenken.
Dann darf man sich hinterher auch nicht beschweren: Nur jeder Dritte der 1071 Wahlberchtigten ging am 13. September im Stimmbezirk 4806 (Mittlere Lütticher Straße) zur Wahl. Zwei von drei Wahlberechtigten war das Ergebnis offensichtlich egal. Wo waren Sie eigentlich am 13. September? // Grafik: regio-it |
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