Reallabor, der dritte Versuch. Nach Theaterplatz und Adalbertsteinweg möchte die Verwaltung nun wissen, was passiert, wenn man den Grabenring in Höhe des TH-Hauptgebäudes am Templergraben für den Autoverkehr dicht macht. Das Experiment soll vier Monate dauern. // Foto: Ulrich Simons |
22. Mai 2021
Templergraben wird ab Mitte Juni
für vier Monate zum "Reallabor"
Verkehrsplanerinnen und -planer in Aachen haben seit 2019 ein neues Wort, das damals - soweit ich mich erinnere - die neue Stadtbaurätin Frauke Burgdorff mitgebracht hat.
Wenn man nicht weiß, was man mit einem Eingriff ins Verkehrsgeschehen in letzter Konsequenz auslöst und anrichtet, und man deshalb die Maßnahmen nicht sofort dauerhaft umsetzen will, baut man die Straße erst einmal "auf Zeit" um und nennt das ganze "Reallabor".
Der Aachener würde das Wort vielleicht mit "Frickelsstroeß" übersetzen.
Adalbertsteinweg: krachend gescheitert
Manchmal kommen Autofahrer mit dem Schrecken davon, wie am Adalbertsteinweg, wo der Versuch einer "Protected Bike Lane" krachend gescheitert und inzwischen wieder Normalität eingekehrt ist.
Der Rückstau reichte oft bis zur Elsassstraße, der ÖPNV in die Innenstadt wurde auf dieser wichtigen Einflugschneise wochenlang ausgebremst, die Autofahrer suchten sich neue (Schleich-)Wege durch bis dahin ruhige Wohnstraßen, und hin und wieder wurde auch mal ein Radfahrer auf der extra für ihn einkassierten Fahrspur gesichtet.
Jan van den Hurk (SPD), einer der Vorkämpfer für den Radentscheid, stellte dessen ungeachtet am Donnerstag im Mobilitätsausschuss allen Ernstes fest, der Versuch sei mitnichten gescheitert, im Gegenteil, er habe "interessante Ergebnisse" gebracht.
Eine Wortmeldung, die ein erschreckendes Ausmaß an Phantasielosigkeit und fehlender Ortskenntnis offenbart: Jeder, der die Situation auf dem Adalbertsteinweg halbwegs kennt, hätte das Ergebnis vorhersehen können.
Auch Matthias Achilles (Zukunft) driftete ab ins Reich der Träume, als er feststellte, eine einspurige Verkehrsführung auf dem Adalbertsteinweg sei möglich, man müsse nur zuvor den Verkehr "um 30 Prozent verringern".
Die Frage, weshalb Radfahrer überhaupt auf dem Adalbertsteinweg mitmischen müssen, und ob es nicht vielleicht cleverer wäre, ihnen ruhigere, abgasärmere Parallelstraßen als Einflugschneisen in die City fahrradtauglich herzurichten, habe ich in der ganzen Debatte bisher nicht gehört.
Das Gleiche gilt im übrigen für die Achse Oppenhoffallee/Goerdelerstraße. Auch auf deren Benutzung könnten Radfahrer nach Fertigstellung der parallel verlaufenden Fahrradroute Bismarckstraße/ Beverstraße im Grunde verzichten.
Ich bin gespannt, ob die "Radfahrer-überholen-verboten"-Schilder in der Oppfenhoffallee jemals wieder verschwinden werden, wenn die lückenlose und sichere Fahrrad-Verbindung von Eilendorf zum Elisenbrunnen fertig ist.
Theaterplatz: Wie wird es dort im Winter?
Am Theaterplatz kann man sich heute schon vorstellen, wie sich die freigeräumte nordöstliche Umfahrung in der schmuddeligen Jahreshälfte von Oktober bis April präsentieren wird, wenn erfahrungsgemäß nicht mehr so viele Menschen Spaß am Aufenthalt im Freien, speziell an Außengastronomie haben.
Da reicht ein Blick auf den Stadtplan und die Kenntnis der Himmelsrichtungen, um festzustellen, dass sich dorthin allenfalls im Sommer und dann auch nur kurz am späten Vormittag ein Sonnenstrahl verirren wird.
Alles Weitere verhindert die hohe umstehende Bebauung, wobei die klotzige weiße Fassade des Stadttheaters ähnliche Wohlfühl-Atmosphäre verbreitet wie das Aquis Plaza in der unteren Adalbertstraße.
Auch die Jakobstraße wird in der zweiten Jahreshälfte unpassierbar
Während die beiden bisherigen Planspiele noch halbwegs zu verkraften waren, dürfte das heraufziehende "Reallabor" am Templergraben ungleich heftigere Auswirkungen haben und zur Freude Jan van den Hurks weitere "interessante Ergebnisse" nach sich ziehen.
Ortskundige Autofahrer, die mit dem Gedanken spielen, die "Netzdurchtrennung" vor dem TH-Hauptgebäude trickreich über Eilfschornsteinstraße, Augustinerbach, Judengasse und Jakobstraße zu umgehen, werden dort spätestens in der zweiten Jahreshälfte vor die sprichwörtliche Wand fahren, denn die RegioNetz wird wegen Baumaßnahmen in der zweiten Jahreshälfte die Jakobstraße zwischen Karlsgraben und Klappergasse dicht machen.
Das ist keine Fehlplanung, sondern durchaus gewollt, denn falls der Grabenring am Templergraben dauerhaft gesperrt wird, will man auch die Schleichverkehre unterbinden.
Das totale Chaos dürfte über den nördlichen Abschnitt von Graben- und Alleenring hereinbrechen, wenn im November mit Abriss und Neubau der Straßenbrücke über die Eisenbahn an der Turmstraße begonnen wird. Voraussichtliches Ende irgendwann im Frühjahr/Sommer 2024.
Hinweise, dass dann die Erprobungsphase am Templergraben längst beendet sei, sollte man mit Vorsicht genießen. Auch am Theaterplatz ist man nach der angeblichen "Testphase" nie mehr zur alten Verkehrsführung zurückgekehrt.
Das Chaos droht in der Pontstraße
Während neben dem motorisierten Individualverkehr (MIV) von der Sperrung des Templergrabens laut Aseag-Netzplan unmittelbar nur die vor dem TH-Hauptgebäude vorbeiführenden Aseag-Linien 13A und 13B betroffen sind (nach Sperrung der Jakobstraße auch die Linie 4), dürfte wenige Hundert Meter weiter östlich das nächste Chaos mit Ansage heraufziehen.
Die Autofahrer, die früher am TH-Hauptgebäude mit Tempo 30 vorbeizockelten, werden aller Voraussicht nach über Driescher Gässchen und Pontstraße auf den Alleenring ausweichen. Das wiederum dürfte erhebliche Probleme in der Pontstraße nach sich ziehen, wo dann auch die Busse der Aseag im Verkehr festhängen.
Die Stadt macht im Sommer für vier Monate den Templergraben dicht, und die RegioNetz beginnt in der zweiten Jahreshälfte in der Jakobstraße mit Tiefbauarbeiten, die dort einer Sperrung erforderlich machen. Vor allem zwischen Bushof und Ponttor dürften Autofahrer auf der Suche nach Alternativrouten erhebliche Auswirkungen auf den Busverkehr haben. // Grafik: Aseag / Ulrich Simons |
Christian Hofmann hatte als äußerst sachkundiger Bürger auf das heraufziehende Dilemma hingewiesen.
Leider blieben seine Warnungen ungehört, denn so richtig sie in der Sache waren - der Mann sitzt dummerweise für die AfD im Mobilitätsausschuss. Da gehen bei den übrigen aufrechten Demokraten die Ohren reflexartig auf Durchzug.
Am Ende der Debatte hieß es 15:2. Für das dritte Reallabor stimmten Grüne, CDU, SPD, Linke und Zukunft, die zwei Gegenstimmen kamen von FDP und AfD. Die Auswertung des Versuchs soll Ende des Jahres vorliegen.
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