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07. Juli 2019
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Der zweite Untergang der "Titanic"
In unserer an geschmacklichen Entgleisungen erstaunlich vielfältigen Welt gibt es einen neuen Tiefpunkt zu vermelden: Der Untergang der "Titanic" hat es nach mehr als 100 Jahren endlich auf die Musical-Bühne geschafft.
Zu Erinnerung: Titanic - das ist die wahre Geschichte von dem angeblich unsinkbaren Ozeanriesen, der auf seiner Jungfernfahrt von Southampton nach New York am 14. April 1912 kurz vor Mitternacht einen Eisberg rammt und sinkt. Rund 1500 Menschen ertrinken oder erfrieren elendig im eisigen Nordatlantik in der Nähe von Neufundland.
Ein hübscher Stoff also für gepflegte Abendunterhaltung mit Musik, Tanz und Gesang.
Dem Fernsehmagazin "prisma", das immer freitags kostenlos der Tageszeitung beiliegt, weil es sich freiwillig wohl kaum ein Mensch kaufen würde, ist das am 5. Juli 2019 die Titelseite samt Schlagzeile wert: "Mythos Titanic - jetzt als Musical in der Kölner Philharmonie". |
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Eine ganze Seite lang darf Autor Matthias M. Machan für die Nahtod-Erfahrung in der Domstadt die Werbetrommel rühren, fabuliert von "zutiefst menschlichen Geschichten", "mitreißender Livemusik" und einem "brillant arrangierten Bühnenwerk", bevor er auf die Zielgerade einbiegt: "Dass man das Ende der RMS Titanic kennt, schmälert das Vergnügen und die Kraft der Inszenierung in keiner Minute. Brillante Unterhaltung mit Anspruch!"
Man darf wohl davon ausgehen, dass die 1500 unmittelbar Betroffenen das damals etwas anders empfunden haben.
Schon James Camerons kitschige Verfilmung der Katastrophe war überflüssig. Jetzt aber ist der gute Geschmack endgültig da angekommen, wo die "Titanic" schon seit mehr als 100 Jahren ruht: In fast 4000 Metern Tiefe im Schlamm des Atlantik.
P.S.: Als weitere Stoffe, die sich als Musicals aufdrängen, fallen mir spontan der Mordanschlag auf das Haus der türkischen Familie Genc in Solingen am 29. Mai 1993, der ICE-Crash von Eschede am 3. Juni 1998 und der Terroranschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 ein.
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