Das ehemalige Gotteshaus der Neuapostolischen Kirche für den Bezirk Aachen-West ist seit mehr als einem Jahr verwaist. Nach Lage der Dinge wird die nur 25 Jahre alte Kirche an der Ecke Moreller Weg / Franziskusweg wohl demnächst abgerissen. An ihrer Stelle könnten dann mehrere Einfamilienhäuser oder ein größeres Wohnhaus entstehen. // Foto: Ulrich Simons |
08. September 2019
Moreller Weg:
Was wird aus der kleinen Kirche?
Es waren angenehme Nachbarn. Die Anwohner von Moreller Weg und Franziskusweg erinnern sich gerne vor allem an die Chorproben in der kleinen Kirche der Neuapostolischen Gemeinde, die an lauen Sommerabenden meist bei allseits geöffneten Fenstern stattfanden. Die Chorsänger ließen frische Luft herein, die Anwohner die Musik. Eine Art Win-win-Situation.
Seit mehr als einem Jahr singt niemand mehr in dem hübschen Gotteshaus. Am 15. März 2018 schlossen sich nach einem sogenannten „Profanierungsgottesdienst" die Türen für immer hinter den Gläubigen. „Ihre“ Kirche war keine mehr.
Heute sind die Schilder, die die Neuapostolische Gemeinde als Eigentümerin auswiesen, lange abgeschraubt. Hin und wieder schaut nochmal ein Gärtner vorbei und mäht den Rasen. Doch nicht nur das Gras wächst. Auch die Spekulationen, was künftig aus dem Filetstück im Aachener Südwesten wird, schießen ins Kraut.
Folge der demographischen Entwicklung
Die Gerüchte kommen nicht von ungefähr. Die Kirche an der Ecke Franziskusweg / Moreller Weg ist nicht die einzige in Deutschland und in NRW, die die Neuapostolische Kirche (NAK) im Laufe der Jahre aufgegeben hat. Das Internet-Lexikon Wikipedia widmet den nicht mehr genutzten Sakralbauten in Deutschland eine mehrere Bildschirmseiten lange Auflistung.
"Die Neuapostolische Kirche leidet an den gleichen Folgen der demographischen Entwicklung wie die großen Amtskirchen", bestätigt Pressesprecher Frank Schuldt in Dortmund auf Anfrage. "Das Interesse an Kirche lässt allgemein nach." Früher sei Aachen-West vor allem eine starke Studentengemeinde gewesen, doch diese Zeiten seien inzwischen vorbei.
Auch in den anderen Stadtteilen ist die Zahl der Gläubigen seit Jahren rückläufig. In den vergangenen 20 Jahren ist ihre Zahl im Kirchenbezirk Aachen um knapp 21 Prozent auf heute nur noch 3800 Mitglieder geschrumpft. Am 18. März 2018, drei Tage nach dem letzten Gottesdienst am Moreller Weg, fusionierten daher die Gemeinden Aachen-Eilendorf, Aachen-West und Würselen mit den Gemeinden Aachen-Süd und Aachen-Mitte.
Ein Riesenfeld voller Dahlien
Das Grundstück am Moreller Weg 50 hat eine wechselvolle Geschichte. Dort, wo sich heute (noch) der Eingang zur Kirche befindet, verlief ursprünglich ein schmaler Feldweg auf das Haus der Familie Hissel zu, das heute die Anschrift Franziskusweg 2 hat. Links und rechts vom Weg war Ackerland.
Das Gebiet war noch weitgehend unerschlossen. Der Morillenhang wurde fast zeitgleich mit dem Bau des Franziskus-Krankenhauses Anfang der 1960er Jahre angelegt, den Franziskusweg gibt es erst seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre. Die Häuser an der Ostseite mit den ungeraden Nummern stammen aus dieser Zeit.
Karl und Maria Hissel waren Gärtner und Landwirte mit Leib und Seele. Wenn Karl Hissel von der Arbeit beim Stadtgartenamt nach Hause kam, ging die Arbeit am Moreller Weg weiter.
Vor allem im Sommer war das Feld am Franziskusweg eine Augenweide, wenn Tausende farbenprächtige Dahlien dort um die Wette blühten. Auf der anderen Seite des Weges zum Haus wuchs Porree bis zum Horizont. Oder zumindest bis kurz davor.
Im nächsten Jahr stand der Porree vorne und die Dahlien hinten. Karl Hissel war clever und sorgte so dafür, dass der Boden gleichmäßig beansprucht wurde. Im Jahr danach standen die Dahlien dann wieder an der Straßenseite.
Es war eine wunderbare Zeit. Wesentliche Teile meiner Jugend habe ich im Sommer mit Hissels Sohn Peter zwischen den Dahlien verbracht, oder wir machten in der kleinen Waschküche neben dem Haus den gebündelten Porree sauber und verkaufsfertig. |
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Dahlien, so weit das Auge reicht. So ähnlich sah es im Sommer der 1970er-Jahre auf Karl Hissels Blumenfeld am Franziskusweg aus. // Foto: Ulrich Simons |
Im Sommer hockten wir nach der Schule im Kirschbaum vor der Haustür, lebten von der Hand in den Mund und merkten nicht, dass die süßen Kirschen jede Menge proteinhaltige Untermieter hatten.
Irgendwann wurde es Karl Hissel und seiner Frau Maria dann aber doch zuviel, und sie verkauften Anfang der 1970er Jahre die arbeitsintensiven Teile ihres Grundstücks, bearbeiteten die Felder aber zunächst weiter.
Am Franziskusweg entstanden Mitte der 1970er Jahre die Häuser 6, 8 und 10, und auf dem Teilstück am Moreller Weg weihte die Neuapostolische Kirche im Jahr 1994 ihre Kirche für den Gemeindebezirk Aachen-West ein.
Blitzschlag setzt das Dach in Brand
Die Pläne für das Gotteshaus stammten vom NAK-Hausarchitekten Jürgen Skupin, dem Leiter der Bauabteilung in Dortmund. Für die Umsetzung vor Ort sorgte das Aachener Bauunternehmen Grünzig als Generalunternehmer. Die klassische Bleiverglasung entstand im Atelier Basseng in Norddeutschland, das heute offenbar nicht mehr existiert.
Der Neubau und seine Nutzer, anfangs von den Alteingesessenen mit einer gewissen Skepsis betrachtet, fügten sich blendend ins Wohngebiet ein. Lediglich am 9. Juni 2007 geriet die kleine Kirche noch einmal in die Schlagzeilen, als während eines heftigen Gewitters ein Blitzschlag den Dachstuhl in Brand setzte.
09. Juni 2007: Bei einem gewaltigen Gewitter, das über dem Aachener Westen tobt, setzt ein Blitzschlag das Dach der Neuapostolischen Kirche am Moreller Weg in Brand. // Foto: Ulrich Simons |
Nach erfolgter Reparatur (der Sachschaden beträgt mehrere hunderttausend Euro) wird die Kirche am 14. Februar 2008 zum zweiten Mal eingeweiht. Zehn Jahre später kommt dann das endgültige "Aus".
Da auch leerstehende Gebäude Kosten verursachen, möchte die Neuapostolische Kirche ihre Immobilie samt Grundstück am Moreller Weg jetzt lieber zu Geld machen. "Wir wollen keinen Riesenbestand an geschlossenen Kirchen haben", sagt Pressesprecher Frank Schuldt. In der Regel biete die Kirche daher nicht mehr benötigte Gebäude und Grundstücke auf dem Markt an. "Dabei bevorzugen wir eine kirchliche oder soziale Nachnutzung."
In nächster Zeit plant die NAK-Zentrale in Dortmund Gespräche mit der Stadt Aachen mit dem Ziel, die Möglichkeiten einer Folgenutzung für Wohnbebauung zu prüfen. NAK-Sprecher Frank Schuldt: "Das würde bedeuten, dass das Gebäude sehr wahrscheinlich abgerissen werden muss und ein Neubau entsteht."
Kommt am Ende doch alles ganz anders?
Davor dürften allerdings erst mal einige Euro den Besitzer wechseln. Alleine für das 1420 qm große Grundstück wären laut aktueller Bodenrichtwert-Tabelle der Städteregion Aachen pro Quadratmeter 625 Euro fällig. Macht 887.500 Euro.
Hinzu kommen die Abrisskosten für die Kirche und die Kosten für den Neubau. Da es sich nach Auskunft des Presseamtes der Stadt Aachen laut Bebauungsplan im Bereich Moreller Weg / Franziskusweg um ein allgemeines Wohngebiet handelt, wäre an dieser Stelle eine maximal dreigeschossige Bebauung (Erdgeschoss plus zwei Etagen, evtl. mit Penthouse) möglich.
Nicht auszuschließen wäre nach letzten Informationen aus Dortmund aber auch, dass die Kirche selbst dort als Bauherr einsteigt und das Objekt dann verkauft oder vermietet als Alternative zum sofortigen Verkauf des Grundstücks an Dritte.
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