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Leergefegt: Kunden der Bäckerei Mannebach (rotes Dach) am Hasselholzer Weg müssen weit laufen, und auch viele Anwohner können ihre Einkäufe nicht mehr vor ihrer Haustür ausladen. Die Stadt hat im Juli jede Menge Pkw-Stellplätze gestrichen, um Anliegern ein sicheres Einfahren aus dem Hasselholzer Weg in die Lütticher Straße zu zu ermöglichen. // Foto: Ulrich Simons |
28. September 2019
Lütticher Straße: 12 Parkplätze weg!
Machen die das jetzt überall so?
Als vor einigen Monaten vor der Bäckerei Mannebach am Hasselholzer Weg quasi über Nacht eine gigantische Halteverbotszone entstanden war, waren das Unverständnis und der Ärger groß. Ohne jede Rücksprache mit den Betroffenen hatte die Stadt fast ein Dutzend Parkplätze einkassiert, um die Einmündungssituation zu entschärfen. Doch die Verwaltung bezog die Prügel zu Unrecht. Sie konnte (fast) gar nicht mehr anders, nachdem Anwohner die Sache ins Rollen gebracht hatten ...
Drei Straßen und überall das gleiche Problem
Zugegeben: Es gibt übersichtlichere Einmündungen als die Stelle, an der der Hasselholzer Weg auf die Lütticher Straße stößt. Andererseits war und ist es nicht die einzige Ecke, an der Verkehrsteilnehmer höllisch aufpassen müssen, wenn sie in eine übergeordnete Straße einbiegen.
Nur wenige Meter stadteinwärts, an Moreller Weg und Sanatoriumstraße, herrscht nahezu die gleiche Situation.
Wobei Autofahrer, die die Sanatoriumstraße hochkommen, infolge der Bushaltestelle zumindest von links herannahende Fahrzeuge rechtzeitig erkennen. Dafür ist der Blick nach rechts die Lütticher Straße hinauf durch den Parkstreifen umso mehr eingeschränkt.
Weiter in Richtung Stadt, an der Einmündung des Morillenhangs in die Lütticher Straße, wird zur Abwechslung der Blick auf Fahrradstreifen und Autos durch eine Hecke verdeckt, die vermutlich seit der Neugestaltung dieses Straßenabschnitts vor fünf Jahren nicht mehr geschnitten wurde.
Völlig chaotisch wird es, wenn gleich auf einem der ersten Parkplätze dahinter auch noch ein Sprinter parkt, der mit dem Heck in den Radfahrstreifen hineinragt.
Dann müsste man theoretisch erst mal aussteigen und sich zu Fuß davon überzeugen, dass die Luft rein ist. |
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Wie Sie sehen, sehen Sie nichts: Die Einfahrt aus der Sanatoriumstraße in die Lütticher Straße (Bild oben) ist für Linksabbieger immer wieder ein großes Abenteuer. Vor allem, wenn auf der gegenüberliegenden Straßenseite vor dem Couven-Gymnasium Eltern ihren fußkranken Nachwuchs im absoluten Halteverbot aussteigen lassen und einem die überholenden Verkehrsteilnehmer Richtung Innenstadt plötzlich als Geisterfahrer entgegenkommen. Und nebenan am Moreller Weg ist es auch nicht wesentlich besser. // Foto: Ulrich Simons |
Verkehrsspiegel: Die Stadt weiß nicht so recht, was sie will
An der Ecke Hasselholzer Weg krachte es häufiger, wie Thomas und Sabine Mannebach, deren Familie seit 2002 im ehemaligen "Kriegerhäuschen" eine Bäckerei/Konditorei und ein Café betreibt, hautnah mitbekamen. Seniorchef Dagmar Mannebach wollte auf der gegenüberliegenden Straßenseite sogar schon auf eigene Rechnung einen "Verkehrsspiegel" anbringen. Die Stadt winkte ab.
Begründung: "Verkehrsspiegel sind kein Instrument der StVO und werden insofern nur in besonderen Ausnahmefällen, wenn keine anderen verkehrlichen Alternativen umsetzbar sind, von uns eingesetzt. Dies liegt an den mit Verkehrsspiegeln verbundenen Nachteilen: Spiegel können beschlagen, verdrehen, nicht auf alle Fahrzeugtypen gleichgut eingestellt werden, Geschwindigkeiten und Entfernungen können schlecht abgeschätzt werden, und letztendlich fokussiert der Verkehrsteilnehmer seinen Blick auf den Spiegel und es kann dazu kommen, dass das Verkehrsgeschehen unmittelbar vor seinem Fahrzeug nicht beachtet wird."
Wie sich diese wortreiche Begründung mit den Fahrradspiegeln unter einen Hut bringen lässt, die die Stadt seit einigen Wochen an fast allen wichtigen Kreuzungen aufhängt, konnte mir auch niemand erklären.
An der Einmündung des Hasselholzer Weges in die Lütticher Straße krachte es öfter mal. Nach Zeugenaussagen war die Fahrerin dieses goldenen Winzlings am 27. August 2016 ungebremst aus dem Hasselholzer Weg in die Lütticher Straße eingefahren. Da hätte vermutlich auch ein "Sichtdreieck" nichts genützt. // Foto: Archiv Ulrich Simons |
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Um zu begreifen, was die Stadt an der Ecke Hasselholzer Weg / Lütticher Straße veranstaltet hat, muss man tief eintauchen in ein Regelwerk mit dem Namen "Richtlinie für die Anlage von Stadtstraßen" aus dem Jahr 2006, abgekürzt RASt.06. Wie der Name schon ahnen lässt, ist das ziemlich schwer verdauliche Kost. Wer aber Spaß an sowas hat, kommt voll auf seine Kosten.
Es geht im wesentlichen darum: An Einmündungen in eine bevorrechtigte Straße müssen Autofahrer/innen herannahende Fahrzeuge rechtzeitig erkennen, um entscheiden zu können, ob sie losfahren oder vielleicht doch lieber stehenbleiben und den anderen vorbeilassen.
Dazu muss dem Fahrer ein so genanntes "Sichtdreieck" zur Verfügung stehen. |
Das ist kein Zubehörteil füs Handschuhfach, das man im ADAC-Shop kaufen kann, sondern ein geometrisches Modell aus dem Alltag der Straßenbauer.
Das "Sichtdreieck": So wird es berechnet
Es geht so: Stellen wir uns ein Dreieck vor, das auf der Spitze steht. Der untere Punkt ist jetzt der Autofahrer, der aus dem Hasselholzer Weg kommt. Die entsprechende Position findet man im richtigen Leben, wenn man die Bordsteinkante der Lütticher Straße über den Hasselholzer Weg hinweg verlängert und dann rechtwinklig drei Meter in den Hasselholzer Weg hinein zurückgeht (oder fährt). Da steht er also, der Autofahrer. Zumindest in der Theorie der RASt.06.
Die lange Gerade unseres Dreiecks, die diesem Punkt gegenüberliegt, ist die Mittelmarkierung der Lütticher Straße. Und die Frage ist jetzt: Wie groß muss der Blickwinkel des Autofahrers sein, d.h.: der Bereich, den er beim Einbiegen überblicken können muss? Oder anders: Wie lang müssen die beiden Seiten, die Schenkel des (Sicht-)Dreiecks, sein?
Die Überlegung hinter dieser Frage: Der Durchschnitts-Autofahrer aus dem Hasselholzer Weg braucht eine gewisse Zeit, um in die Lütticher Straße einzubiegen. Wenn man diese Zeit kennt, weiß man, welchen Weg ein Autofahrer auf der Lütticher Straße in der gleichen Zeit zurücklegt.
Hier kommt die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf der bevorrechtigten Straße ins Spiel. Den Rest kann man in der RASt.06 in einer Tabelle nachlesen.
Je höher die Geschwindigkeit, desto größer der Winkel
Wenn man weiß, dass auf der Lütticher Straße an dieser Stelle 50 km/h erlaubt sind, verrät einem die Tabelle, dass die Schenkellänge des Dreiecks, also der freie Blick nach links und rechts, jeweils plusminus 70 Meter betragen muss.
"Freier Blick" heißt in dem Zusammenhang, dass nach links und rechts ein Bereich zwischen 80 Zentimetern und 2,50 Metern Höhe ständig von Sichtbehinderungen, darunter auch Kraftfahrzeugen, freigehalten werden muss.
Die RASt.06 nennt diesen Bereich das "Mindestsichtfeld" und spricht von "parkenden" Fahrzeugen, was Unfug ist, denn auch ständig wechselnde, haltende Fahrzeuge können das Sichtfeld einschränken.
Hätte man die bestehende Tempo-30-Zone vor dem Couven-Gymnasium nicht schon vor, sondern erst hinter dem Hasselholzer Weg aufgehoben, wäre an der Einmündung, weil alle langsamer fahren, eine Schenkellänge von 30 Metern ausreichend gewesen. Dann hätte die Stadt nicht ganz so viele Parkplätze einkassieren müssen. |
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Da könnte sich gelegentlich auch mal jemand drum kümmern: An der Ecke Morillenhang/Lütticher Straße versperrt Autofahrern im September 2019 eine wild wuchernde Hecke die Sicht auf Fahrradstreifen und Fahrbahn. Alles, was rechts vom Mast wächst, müsste im Grunde weg. Derzeit kann man die Straße nur überblicken, wenn man mit dem Vorderwagen schon auf dem Fahrradschutzstreifen steht. Wenn dann noch ein Sprinter den Parkplatz hinter der Hecke belegt und in den Schutzstreifen hineinragt, ist ganz Feierabend. // Foto: Ulrich Simons |
Das Problem war nur: Es ging nicht. Das Tempolimit vor dem Couven-Gymnasium ist doppelt beschränkt. Es gilt nur montags bis freitags und auch nur von 7 bis 18 Uhr. Die Einmündung soll aber an sieben Tagen in der Woche 24 Stunden lang sicher sein.
Einbahn-Regelung im Hasselholzer Weg verworfen
Zur eingangs gestellten Frage: Gilt das jetzt an allen Einmündungen? "Nein", sagt die Stadt. Alte Straßen hätten zunächst Bestandsschutz. Aber bei allen Neu- und Umbauten von Kreuzungen habe man seit 2006 die RASt.06 im Nacken. Und ziemlich alternativlos sei die Lage, auch an bestehenden Straßen, wenn sich an einer bestimmten Stelle die Beschwerden häuften, so wie es am Hasselholzer Weg gewesen sei, wo Anwohner auf Abhilfe gedrängt hätten.
Falsch ist jedenfalls die vielfach gehörte Vermutung, die Stadt habe der Bäckerei Mannebach gezielt Knüppel zwischen die Beine werfen wollen. Richtig ist dagegen, dass die Halteverbotszone für die Bäckersleute und vor allem für ihre Kunden ein gewaltiges Ärgernis darstellt.
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Man sollte vielleicht nur noch am Hasselholzer Weg auf die Lütticher Straße fahren. Der Moreller Weg ist jedenfalls in Sachen Sichtdreieck keine ernstzunehmende Alternative, vor allem, wenn dann auch noch solche "Rettungskapseln" auf dem Radweg herumstehen (Bild links). // Fotos: Ulrich Simons |
Es hätte eine ganz einfache Lösung gegeben: Den "Ausschluss von Fahrbeziehungen", wie es im Amstdeutsch der RASt.06 heißt. In schlichterer Sprache: Man hätte den Hasselholzer Weg von der Lütticher Straße bis zum Haselsteig zur Einbahnstraße erklären können. (Eine komplette Einbahn-Regelung bis zum Amsterdamer Ring hätte die Zufahrt ins gesamte Wohngebiet vom Ring her blockiert, außerdem hätten die Anwohner des Haselsteigs ihre Straße nur noch aus Richtung Lütticher Straße erreichen können.)
Die Einbahn-Regelung hätte gleich auch noch ein weiteres Problem gelöst. Denn nicht selten nutzen ortskundige Autofahrer die Anliegerstraße als Abkürzung zur Umgehung der Ampel an der Kreuzung Amsterdamer Ring/Hohenstaufenallee.
Stadt, Polizei und ASEAG waren nach Auskunft der Stadt anderer Ansicht: Der Hasselholzer Weg stehe in den Plänen als zweispurige Straße, da wollte man nicht ran.
Dass in der engen Straße regelmäßig keine zwei Fahrzeuge aneinander vorbeikommen, weil kein Mensch die eingeschränkten Halteverbote ernstnimmt, ist eine andere Geschichte, die beweist, wie weit sich die mutmaßlichen Verkehrsexperten mitunter vom Alltagsgeschehen entfernt haben.
Im Hasselholzer Weg dürften sie jedenfalls lange nicht mehr gewesen sein.
Sichtdreieck? So schnell, wie nicht nur der rote Sprinter Anfang September 2019 an der Einmündung der Bleiberger in die Vaalser Straße vorbeiflog, war ich nicht mit dem Finger am Auslöser. Erst, wenn man mit dem Wagen komplett auf dem Radweg steht, kann man erkennen, ob jemand von links kommt. Das ist natürlich nicht im Sinne der StVO, und die Radfahrer sparen auch nicht mit Beifall, wenn man ihnen mit dem Auto den Weg versperrt. Zumal von der Vaalser in die Bleiberger Straße einbiegende Autofahrer die Radfahrer auch erst im letzten Augenblick sehen. Ich finde, wenn man der Bäckerei Mannebach die Kundenparkplätze wegnimmt, darf man auf die Bahn auch keine Rücksicht nehmen. Also: Die Brücke muss weg. Zumindest der Pfeiler. Stadt Aachen, bitte übernehmen Sie! // Foto: Ulrich Simons |
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