Lebensgefährliche Dummheit: Radfahrer ohne Licht in der Dunkelheit. // Foto: iStockphoto/Evgeniy Anikeev |
01. Dezember 2019
Och nein, wie lieb:
Die Stadt beschenkt die Unsichtbaren
Sie gefährden sich selbst und andere: Radler aus dem Reich der Schatten, die jetzt in der dunklen Jahreszeit wieder zuhauf in modischem Schwarz, ohne Helm (ist ja nicht vorgeschrieben) und ohne Licht unterwegs sind. Damit verstoßen sie nicht nur gegen die Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO), sondern bringen sich unter Umständen sogar in Lebensgefahr.
StVZO sagt Ihnen nichts? Dann lesen Sie bitte weiter - Sie gehören zur Zielgruppe!
Mit einer geradezu rührenden Aktion hat sich die Stadt Aachen jetzt an die Velo-Geisterfahrer gewandt. Sie tat das nach eigenen Angaben schon zum dritten Mal, was entweder vermuten lässt, dass die beiden voraufgegangenen Aktionen nicht gerade ein Knaller waren, oder dass die Zahl der Klippschüler auf zwei Rädern einfach nicht weniger wird.
Immer noch seien vier von zehn Radfahrern mit mangelhafter oder gänzlich ohne Beleuchtung unterwegs, sagt Dr. Stephanie Küpper, Projektleiterin der Kampagne „FahrRad in Aachen“.
Vier von zehn: Das sind 40 Prozent Blindgänger und Chaoten, denen ihre Gesundheit anscheinend egal ist, weil im Falle eines Unfalles ja der Autofahrer den Grabstein bezahlt. Oder den Rollstuhl.
StVZO: Scheinbar widersprüchliche Vorgaben
Dabei sagt §67 der Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) zum Thema "Lichttechnische Einrichtungen an Fahrrädern" in Absatz (1) zunächst ziemlich unmissverständlich: "Fahrräder dürfen nur dann im öffentlichen Straßenverkehr in Betrieb genommen werden, wenn sie mit den vorgeschriebenen und bauartgenehmigten lichttechnischen Einrichtungen ausgerüstet sind."
Wenn man weiterliest, wird es allerdings etwas widersprüchlich, denn in Absatz (2) Satz 4 heißt es plötzlich: "Scheinwerfer, Leuchten und deren Energiequelle dürfen abnehmbar sein, müssen jedoch während der Dämmerung, bei Dunkelheit oder wenn die Sichtverhältnisse es sonst erfordern, angebracht werden."
Wer also an einem strahlenden Sommertag ohne Lichtanlage mit dem (Renn-)Rad spazierenfährt, der tut zunächst einmal nichts Verbotenes, sofern er vor Sonnenuntergang wieder zu Hause ist. Kritisch wird es allerdings (s.o.) "während der Dämmerung, bei Dunkelheit oder wenn die Sichtverhältnisse es sonst erfordern".
Statt Bußgeld gab es von der Stadt Geschenke
Wer dann ohne vorschriftsmäßige Beleuchtung unterwegs ist, dem droht ein Bußgeld von 20 Euro und, was noch schlimmer ist, dass er im Dunkeln im Straßenverkehr nicht wahrgenommen wird. Mit den entsprechenden, möglicherweise sehr unschönen Folgen.
Dr. Stephanie Küppers Appell: "Radfahrende müssen dafür sorgen, dass ihr Licht immer einsatzbereit ist". Ich erlaube mir zu ergänzen: Noch besser wäre es natürlich, sie würden es auch einschalten.
Zudem, so Dr. Küpper, sollten Radfahrerinnen und Radfahrer vor allem in der dunklen Jahreszeit durch Reflektoren und helle Kleider auf sich aufmerksam machen.
Und wenn nicht? Dann ist die Stadt gerne behilflich. In den vergangenen Tagen hat sie an verschiedenen Stellen in der Innenstadt unsichtbare Radfahrer*innen angehalten und auf fehlende oder kaum sichtbare Beleuchtung hingewiesen.
Das verkehrswidrige Verhalten wurde allerdings nicht mit dem vorgesehenen Bußgeld geahndet, sondern mit allerlei kleinen Aufmerksamkeiten honoriert: Warnwesten, Aufklebe-Reflektoren oder reflektierende Bänder für Arme und Beine.
Süßes Dankeschön
Und das Herzallerliebste: Wer vorschriftsmäßig mit Licht fuhr, der bekam als kleines Dankeschön einen Schokoladen-Nikolaus.
Wie süß!
Der Erfolg einer solchen Aktion dürfte gegen Null tendieren. Denn unerwünschtes Verhalten ändert man ganz bestimmt nicht, indem man es mit kleinen Geschenken belohnt. |
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Sollte man vorsichthalber immer dabei haben, wenn man morgens oder abends ohne Licht am Fahrrad unterwegs ist. Dann hat im Falle eines Falles wenigstens ein Anderer noch was davon. |
Das lernte man damals, als Aachen noch eine Pädagogische Hochschule hatte, im ersten Semester.
Und die angedrohten 20 Euro Bußgeld? Geschenkt!
Kann man machen, nur: Wie oft will man denn noch an die Vernunft der Unvernünftigen und Unbelehrbaren appellieren?
Die müssten mit schlotternden Knien auf ihr unbeleuchtetes Fahrrad steigen, weil an der nächsten Ecke jemand mit einer roten Kelle stehen und ihnen 20 Euro abknöpfen könnte. Das würde vielleicht helfen.
Aber eine unter Umständen lebensgefährliche Ordnungswidrigkeit offiziell zu bagatellisieren, ist haarsträubend. (Ich sehe gerade, das geht bei mir schlecht, also sagen wir besser: unfassbar.)
Vielleicht noch eine schöne Ergänzung für den Wunschzettel
"Das ist ja so ähnlich", wundert sich Frau Simons, "als würde die Polizei nach einer eiskalten Nacht die Autofahrer rauswinken, die sich morgens nur ein Guckloch in der Windschutzscheibe freigepult haben, und ihnen einen Eiskratzer und eine Flasche Enteisungsspray schenken."
Ich begreife es nicht: Warum setzt die Stadt bei Falschparkern noch auf teure Knöllchen, wenn die gewaltfreie Variante mindestens genauso viel Erfolg verspricht? Klemmt denen doch einfach statt des gelben Zettelchens einen kostenlosen Flyer mit einer Übersicht der innerstädtischen Parkhäuser unter den Scheibenwischer und wartet ab, ob irgendwas besser wird.
Gespannt bin ich auch auf die Reaktion der Stadt, wenn demnächst auf einer der neuen Radvorrangrouten die ersten Kampfradler mit ihren unbeleuchteten Gefährten beim Überholen zusammenrasseln.
Kleiner Tipp daher für alle Radfahrer, die freundlicherweise bis hierhin gelesen haben: Falls der Wunschzettel für Heiligabend noch nicht komplett ausgereizt ist - eine schöne, helle Fahrradbeleuchtung unterm Weihnachtsbaum wäre keine schlechte Idee. Kostet nicht die Welt.
Und bis dahin bei Fahrten im Dunkeln: Organspendeausweis nicht vergessen!
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