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Langjährige Kunden dürften sich freuen (untere Grafik): Wer länger als sieben Jahre Kunde bei der Stawag ist, verheißt die Grafik im Internet, bekommt ab dem achten Jahr auf den Grundpreis für Strom und Gas einen Nachlass von 25 Prozent. Doch man sollte das Kleingedruckte lesen. Denn selbst Kunden aus den 60er Jahren erhalten zum Start erst mal nur zehn Prozent und müssen sich dann langsam Jahr für Jahr hocharbeiten. // Grafik: Stawag - Screenshot: Ulrich Simons |
18. Januar 2020
Die Rabatt-Trickser:
Wie die Stawag
treue Kunden für dumm verkauft
Jahrelang habe ich den Lockrufen der Mitbewerber tapfer widerstanden und bin meinem Stromanbieter treu geblieben. Das könnte sich demnächst ändern ...
Kurz vor dem Jahreswechsel bekam ich Post von den Stadtwerken (Stawag). Der Strompreis, so teilte man mir mit, steige zum 1. Februar um 2,53 Cent (brutto) pro Kilowattstunde. Macht bei einer Durchschnitts-Familie rund zehn Euro mehr im Monat und einen Aufschlag auf den alten Brutto-Preis von 9,2 Prozent. Zum 1. Februar 2019 war der "Arbeitspreis" schon einmal moderat angehoben worden, damals um 0,9 Prozent. Jetzt langen sie also richtig zu.
Beim Nachdenken über Einsparmaßnahmen landete ich auf der Internet-Seite der Stawag und blieb beim Stichwort "Treue-Bonus" hängen.
"Je länger Sie bei uns Kunde sind, desto größer wird auch der Rabatt, den Sie auf Ihren Grundpreis für Strom und Gas erhalten", heißt es dort. Und: "Die Höhe des Rabatts, den Sie zum Start unseres Rabattsystems erhalten, richtet sich danach, wie lange Sie bereits Kunde bei uns sind." Da brauchte ich als Altkunde nur einen Blick auf die entsprechende Grafik zu werfen - und Bingo!
Auf den kleingedruckten Hinweis für langjährige Kunden: "Sie steigen gleich mit fünf Prozent Rabatt ein", konnte ich mir erst einmal keinen Reim machen. Denn in der Grafik darunter konnte man klar sehen: Wer länger als sieben Jahre Kunde ist, bekommt vom achten Jahr an 25 Prozent. Und ich war schon seit - ach du liebe Zeit. Ich hab das dann mal genau nachgerechnet ...
Gerade die treuesten Kunden sind die Gelackmeierten
Im April 1981 hatte ich - damals noch Student - meine erste eigene Wohnung in der Turpinstraße 121 bezogen. Seitdem bekomme ich Strom und Wasser von der Stawag. In den Anfangsjahren habe ich auch noch mit Gas geheizt und gekocht, aber Frau Simons meint, "kochen" könne man das selbst bei wohlwollender Betrachtung nicht nennen. Passender wäre: "Tiefkühlkost und Fertiggerichte aufgewärmt".
Insgesamt komme ich jedenfalls im April auf 39 Kunden-Jahre. Da hatte man früher bei vielen Unternehmen längst die Gold-Karte, und bei Ehepaaren liegt die Silberne Hochzeit schon 14 Jahre zurück. Ein Wunder, dass ich überhaupt noch was bezahlen muss, wo man bei der Stawag laut Grafik schon nach acht Jahren bei 25 Prozent ist.
April, April. Gerade für die treuesten Kunden ist dieser "Bonus", mit Verlaub: Verarsche. Denn sogar Kunden aus den 1960er Jahren bekämen erst mal nur zehn Prozent Preisnachlass und dürften sich dann langsam Jahr für Jahr hocharbeiten, erklärt mir die freundliche Mitarbeiterin der Stawag-Kundenberatung am Telefon.
Selbst der Verweis auf meine fast 39 Kundenjahre vermag sie nicht zu beeindrucken. Den Treue-Bonus gebe es erst seit 2017, und mehr als zehn Prozent seien für Altkunden aus den Jahren vor 2012 "im System nicht vorgesehen".
Die Frist läuft erst ab der Anmeldung
Langsam dämmert es mir: Neukunden ködern und belohnen, Altkunden vor den Kopf stoßen - ein Marketing-Modell aus der geschlossenen Abteilung.
Ich las die Anzeige nochmal, und jetzt begriff ich auch den Hinweis: "Das erste Jahr zählt ab Ihrer Anmeldung zum Treue-Bonus." |
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Und wenn der Zähler noch so lange rotiert (dieser hier schon seit 1966): Den Treue-Bonus der Stawag müssen sich auch langjährige Kunden erst noch mühsam verdienen. // Foto: Ulrich Simons |
Das ganze scheint dann auch weniger ein Belohnungs-System zu sein als ein ziemlich platter Versuch, den Umstieg des Kunden zu einem preiswerteren Anbieter zu verhindern und ihn durch jahrelange Wartezeiten auf das nächste Rabatt-Update ans Unternehmen zu binden.
Eine Überlegung, die auch hinter der jüngsten Marketing-Maßnahme der Energieversorger aus der Aachener Lombardenstraße stecken dürfte (siehe Box am Textende: "Kundenbindung im Münsterwald").
... wenn man es überhaupt noch erlebt
Wenn man mal davon ausgeht, dass der Mensch mit 25 (so wie damals ich) seine erste eigene Wohnung bezieht und in der Regel in Aachen mehr oder weniger automatisch erst mal Stawag-Kunde wird, dann sind diese Bestandskunden aus den 1960er Jahren heute zwischen 75 (Vertragsschluss 1969) und 85 Jahren alt (wenn sie seit 1960 ihren Strom von der Stawag beziehen).
Wer heute aus dieser Gruppe den Antrag auf Teilnahme an dem Bonus-Programm stellt, der erreicht erst 2025 die höchste Rabattstufe mit 25 Prozent. Ich rechne Ihnen das gleich mal vor.
Dann ist der Kunde zwischen 80 und 89 Jahre alt. Falls er es überhaupt noch erlebt.
Abgesehen davon gibt es den Rabatt nicht auf die gesamte Rechnung, sondern nur auf den Grundpreis für Strom und Gas (Wasser wird nicht bezuschusst).
Kein einziger Kunde bekommt derzeit 25 Prozent
Im Stromtarif ÖkoPlus beträgt mein jährlicher Grundpreis seit dem 01. Februar 2019* netto 95,80 Euro. Davon dürfte ich dann zehn Prozent (= 9,58 Euro) abziehen.
* Ich erwähne das exakte Datum deshalb, weil die Stawag sich im Zusammenhang mit ihrer (Verbrauchs-) Preiserhöhung zum 01. Februar dafür auf die Schulter klopft, dass sie den Grundpreis für Strom nach einer 23,9%-igen Erhöhung im vorigen Jahr zum 01. Februar dieses Jahres nicht schon wieder erhöht, sondern "stabil halten konnte".
Die Stawag hat also derzeit bei Strom und Gas vier verschiedene Kunden-Typen, die alle ein gemeinsames Merkmal verbindet: En-gels-ge-duld.
- Stawag-Kunden aus der Zeit vor 2012 werden bei ihrer Anmeldung in die Gruppe "10 Prozent" einsortiert und erreichen im sechsten Jahr die Spitzengruppe mit 25 Prozent Nachlass auf den Grundpreis. Treue Bestandskunden, die sich gleich 2017 angemeldet haben, kommen also frühestens 2022 auf den Spitzensatz von 25 Prozent und dürfen dann (Stand heute) jährlich 23,95 Euro (ein Viertel von 95,80 Euro) weniger bezahlen. Wer heute den Finger hebt und mitmachen möchte, ist erst 2025 in der 25-Prozent-Gruppe.
- Wer nach 2012 Kunde geworden ist, die Einführung des Treue-Rabatts im Jahr 2017 aber nicht mitbekommen hat und sich erst jetzt für das Bonus-System anmeldet, der startet mit fünf Prozent, rückt nach zwei Jahren in die Zehn-Prozent-Gruppe auf und ist im achten Jahr nach der Anmeldung bei 25 Prozent angekommen. Das wäre aus heutiger Sicht 2027.
- Wer sich 2017 bei Einführung des Rabatt-Modells gleich blitzartig angemeldet hat, für den hat sich 2017 und 2018 erst einmal nichts geändert. Derzeit ist er/sie im zweiten Jahr der Fünf-Prozent-Stufe und darf sich auf zehn Prozent Preisnachlass ab 2021 freuen. Erst 2026 ist er bei 25 Prozent angekommen.
- Wer sich heute für das Bonus-Programm anmeldet, durchläuft die komplette Warteschleife und bekommt erst mal nix. Und im nächsten Jahr auch nix. Erst im dritten Jahr schenken die Stadtwerke ihm fünf Prozent des Grundpreises, ab dem fünften Jahr zehn Prozent, und nach neun Jahren erhält er im zehnten Jahr erstmals 25 Prozent. Dann schreiben wir das Jahr 2029.
Da heißt: Wenn ich mich nicht an irgendeiner Stelle ganz blöd verrechnet habe, bekommt derzeit kein einziger Stawag-Kunde die in Aussicht gestellten 25 Prozent. Und das geht auch noch dieses und im nächsten Jahr so weiter, bis dann 2022 die ersten cleveren Altkunden die Sektkorken knallen lassen dürfen.
Der Betrag ist für Privatkunden nicht nachvollziehbar
Auch die Höhe der in der Grafik genannten Vergünstigung ist nicht nachvollziehbar. 30 Euro bei zehn Prozent Rabatt oder 75 Euro Preisnachlass bei 25 Prozent ergeben in beiden Fällen rückgerechnet einen Grundpreis von 300 Euro.
Erst wenn man das Kleingedruckte ganz genau liest, kommt man drauf: Es handelt sich um die addierten Grundpreise für Strom und Gas. Die jährliche Ersparnis für Stromkunden alleine ist demnach wesentlich geringer.
In meinem Fall liegt der jährliche Grundpreis für Strom laut Stawag-Rechnung bei 95,80 Euro. Bleiben für den Grundpreis beim Gas noch 214,20 Euro, um auf insgesamt 300 Euro zu kommen.
Ich habe im Preisrechner auf der Stawag-Seite im Internet keinen einzigen Gastarif gefunden, bei dem der Grundpreis diese Größenordnung auch nur annähernd erreicht hätte.
Stawag-Kunde Rolf Winand, offenbar leicht zu beeindrucken, wird auf der Internet-Seite (siehe Bild oben) mit der Bemerkung zitiert, der Treue-Bonus sei "geschickt gemacht". Das stimmt. Nur nicht für den Kunden. |
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Ihren Treue-Bonus können Sie auch telefonisch beim Kundenservice beantragen. Die Nummer finden Sie allerdings nicht auf dem Schreiben der Stawag zur Strompreiserhöhung, sondern nur im Internet. Sie lautet ...
0241 181-1222 |
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Es gibt alte Menschen, für die sind 23,95 Euro viel Geld. Warum müssen Senioren, die vielleicht noch nicht mal wissen, wie man "Internet" buchstabiert, selber aktiv werden und den Treue-Bonus kompliziert beantragen? Die Stawag hat doch Zugriff auf alle erforderlichen Informationen. Das ist eine einfache Datenbank-Abfrage.
Und dann, liebe Stawag, zieht den langjährigen Kunden den Treue-Bonus einfach sofort von ihrer Rechnung ab, statt darauf zu hoffen, dass sich schon nicht so viele melden werden. Und komme mir jetzt keiner mit der Datenschutz Grundverordnung. Ich möchte den sehen, der gegen einen Preisnachlass klagen würde.
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Bei meiner Autoversicherung muss ich den Schadenfreiheitsrabatt doch auch nicht beantragen, und sogar wenn ich die Gesellschaft wechsle, nehme ich die kompletten schadensfreien Jahre mit und werde bei der neuen Gesellschaft nicht in irgendeiner Warteschleife eingestuft, aus der ich mich dann langsam wieder hocharbeiten muss.
Und als letzte Frage: Wer garantiert mir überhaupt, dass es dieses Lockangebot in ein paar Jahren noch gibt? Da habe ich dann tapfer durchgehalten, und 2024 erklärt mir die Stawag: "Gibt's nicht mehr, konnten wir uns nicht mehr leisten, wurden zu viele!"?
Vergriffenes Gas
Beim Gas hat man offenbar genau das schon gemacht. Da wurde das attraktive Festpreis-Angebot vom 1. Oktober 2019 nach nur einem Vierteljahr wieder aus dem Verkehr gezogen, und auf der Internetseite findet sich jetzt der Vermerk: "Schade ... Unser Gas-Festpreisangebot ist leider vergriffen. Auf unserer Internetseite finden Sie aber auch viele andere interessante Angebote." |
Dieser Tage brachte Galeria-Karstadt-Kaufhof nach dem Abschied von Payback seine neue Kundenkarte unter die Leute. Zehn Prozent Begrüßungsrabatt für neue Kartenbesitzer, 20 Prozent für alle, die drei Jahre und mehr mit der alten Payback-Karte eingekauft hatten, erklärte mir der freundliche Verkäufer. Ganz einfach, ganz transparent, und keiner fühlte sich verarscht. So funktioniert Kundenbindung.
Vielleicht wird es langsam Zeit, sich wirklich einmal mit anderen Stromanbietern zu beschäftigen.
Kundenbindung im Münsterwald
Dieser Tage fanden viele Stawag-Kunden in ihrer Post ein Angebot, sich finanziell am Windpark im Münsterwald zu beteiligen. Als Verzinsung wurden über eine Laufzeit von fünf Jahren zwei Prozent pro Jahr in Aussicht gestellt. Das ist mehr als jedes Festgeldkonto bei den klassischen Geldinstituten derzeit abwirft und scheint daher nicht unattraktiv.
Aber auch hier scheint es in erster Linie weder um Geldbeschaffung zu gehen (das Geld könnte die Stawag bei der KfW billiger bekommen) noch darum, irgendwelche Wohltaten unter der Kundschaft zu verteilen. Stattdessen dürfte Ziel auch dieses Angebotes sein, Kunden möglichst langfristig ans Unternehmen zu binden.
Dafür spricht zum einen der Hinweis im Kleingedruckten: "Bei Kündigung des Stromvertrages wegen Versorgerwechsel innerhalb der Laufzeit der Bürgerbeteiligung wird der Zinssatz auf 0,5% p.a. für die Restlaufzeit reduziert."
Zum anderen ist die Höhe der Einlage pro Person auf 5000 Euro begrenzt. Die Stawag sucht also nicht den einen Anleger, der 100.000 Euro zuviel auf dem Konto hat und diese endlich nochmal gescheit verzinst bekommen möchte, sondern die 20, die in den nächsten fünf Jahren auf 5000 Euro verzichten können.
Auch das deutet darauf hin, dass es nicht vorrangig um das Einsammeln von Geld geht, sondern darum, das Angebot breit zu streuen, um möglichst viele Kunden für die nächsten Jahre vom Wechsel ihres Energieversorgers abzuhalten.
Und als dritter Beleg, dass nicht die Kundeninteressen im Vordergrund stehen: Die Stawag verkauft das Produkt als sogenanntes "Nachrangdarlehen", was bedeutet: Im (unwahrscheinlichen) Fall, dass das Unternehmen in den nächsten fünf Jahren pleitegeht, dürfen sich die Anleger im Konkursverfahren ganz hinten anstellen und werden ihre Geld - wenn überhaupt - erst wiedersehen, wenn alle anderen Forderungen (z.B. der Sparkassen) bedient sind.
Ganz unten auf der Seite steht in einem grauen Kasten der Satz: "Der Erwerb dieser Vermögensanlage ist mit erheblichen Risiken verbunden und kann zum vollständigen Verlust des eingesetzten Kapitals führen."
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