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Collage: Ulrich Simons |
28. März 2020
Corona zu Hause, oder: Wann haben Sie
zum letzten Mal ein Buch gelesen?
Zuhause bleiben - das ist leichter gesagt als getan, wenn einem schon nach einer Woche die Decke auf den Kopf fällt und man nichts mehr mit sich anzufangen weiß. Die Wohnung ist grundgereinigt, Keller und Speicher aufgeräumt, die Lieblings-Frittenbude in Belgien unerreichbar, im Fernsehen jagt eine langweilige Quizshow die nächste - und jetzt?
Natürlich gibt es Dumpfbacken, die es für eine sinnvolle Beschäftigung halten, durch Hamsterkäufe alten Menschen die letzt Rolle Klopapier oder Packung Mehl vor der Nase wegzuschnappen. Oder den Krankenschwestern, die nach einem Höllentag auf der Intensivstation erst nach Feierabend einkaufen können.
Die nicht ganz so egoistischen und heruntergekommenen Schichten nutzen dagegen vielleicht die Gelegenheit, sich nochmal mit einem Buch zu beschäftigen. Ich habe Ihnen mal ein bisschen was zusammengstellt, woran ich in den letzten Wochen und Monaten viel Freude hatte. Vielleicht ist ja auch für Sie ein Tipp dabei ...
Online-Versand funktioniert prima
Und lassen Sie sich nicht davon abschrecken, dass die meisten Buchhandlungen derzeit eine Zwangspause einlegen: Der Online-Versand funktioniert bei vielen noch reibungslos, sogar als Geschenke-Service.
Ich habe es ausprobiert: Montag bei der Mayer'schen online ein Buch als Geschenk für einen Freund im Kreis Heinsberg bestellt, Dienstagmorgen stand der Postbote bei ihm mit dem Päckchen vor der Tür. Geht alles.
Weil ich irgendeine Reihenfolge finden musste, habe ich die Bücher alphabetisch nach Autorennamen sortiert. Die Platzierung stellt also ausdrücklich keine Wertung dar. Bis auf eine Ausnahme: Norman Mailers "Moonfire" habe ich auf Platz 1 gesetzt, und da gehört es mit weitem Abstand vor allen anderen auch hin.
Norman Mailer
Moonfire
"Am 20. Juli 1969 lösten Neil Armstrong, Buzz Aldrin und Michael Collins ein Versprechen ein, das John F. Kennedy 1961 vor dem Kongress in Washington abgegeben hatte – vor dem Ende des Jahrzehnts einen Amerikaner auf dem Mond landen zu lassen.
Jahre fieberhafter Arbeit, ein Stab von 400.000 Ingenieuren und Wissenschaftlern, ein Etat von 24 Milliarden Dollar und die gewaltigste Rakete, die je auf Erden gezündet worden war, ermöglichten schließlich ein noch nie da gewesenes Schauspiel, das von Millionen Menschen auf der ganzen Welt gebannt verfolgt wurde. Und niemand erzählte dieses spektakuläre Abenteuer besser als Norman Mailer.
Als Großmeister der literarischen Reportage war Norman Mailer von der Zeitschrift LIFE beauftragt worden, über den Flug zum Mond in einer dreiteiligen Essayserie zu berichten – für ein dem Anlass angemessen fürstliches Honorar.
Mailer, der über einen elektronischen Schaltkreis genauso packend schreiben konnte wie über die gesellschaftlichen Hintergründe eines Ereignisses und die Psychologie der beteiligten Akteure (die eigenen Befindlichkeiten stets eingeschlossen), gelang mit "Auf dem Mond ein Feuer" ein furioses Meisterwerk, das brillante Porträt einer Epoche, ihrer Obsessionen und ihres größten Spektakels.
Illustriert wird diese Jubiläumsausgabe von Moonfire mit Hunderten von Fotografien und Plänen aus dem Fundus der NASA, aus Zeitschriftenarchiven und Privatsammlungen." (Verlagstext) |
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Ein großartiges Buch, sensationelle Fotos, ein Meisterwerk, für das es nicht genug Superlative gibt. Die größte Hammer ist allerdings der Preis: 40 Euro für diesen gigantischen Jubiläums-Bildband sind kein Schnäppchen, die sind ein Schnapp, wenn Sie verstehen, was ich damit sagen will. Kaufen. Unbedingt.
Norman Mailer "Moonfire" (Jubiläumsausgabe/ Limited Edition) - Taschen-Verlag 2019 - 348 Seiten - 2,88 kg - 27 x 32,6 cm - ISBN 978 3 8365 7114 2 - 40 Euro |
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Simon Beckett
Die ewigen Toten
"Nur Fledermäuse verirren sich noch nach St. Jude. Das Krankenhaus im Norden Londons, seit Jahren stillgelegt, soll in Kürze abgerissen werden. Doch dann wird auf dem staubigen Dachboden eine Leiche gefunden, eingewickelt in eine Plastikhülle.
Die Tote, das sieht David Hunter sofort, liegt schon seit langer Zeit hier. Durch das trockene und stickige Klima ist der Körper teilweise mumifiziert.
Als beim Versuch, die Leiche zu bergen, der Boden des baufälligen Gebäudes einbricht, entdeckt der forensische Anthropologe ein fensterloses Krankenzimmer, das nicht auf den Plänen verzeichnet ist.
Warum wusste niemand von der Existenz dieses Raumes? Und warum wurde der Eingang zugemauert, obwohl dort nach wie vor Krankenbetten stehen? Betten, in denen noch jemand liegt..." (Klappentext)
Ein echter Beckett'scher "Pageturner", den Sie nicht mehr aus der Hand legen werden.
Simon Beckett "Die ewigen Toten" - Rowohlt 2019 - 475 Seiten - ISBN 978 3 8052 5002 3 - 22,95 Euro |
John Connolly
STAN
Olli ist tot. Einsam in seinem Hotelzimmer lässt sein langjähriger Filmpartner und Freund, der greise Stan Laurel, sein Leben Revue passieren.
Es beginnt vor dem Ersten Weltkrieg, als ein junger britischer Komiker nach Amerika fährt. Auf der Bühne hat er wenig Glück. Aber dann dreht er in einem Dorf namens Hollywood seinen ersten Film. Wenige Jahre später ist er ein Weltstar, zusammen mit seinem besten Freund.
Die beiden werden bis zu Ollies Tod untrennbar sein, danach wird er nie mehr einen Film drehen, sondern bis zuletzt Dialoge für Ollie und sich schreiben.
Connollys Roman-Biographie ist ein hinreißendes, wunderschönes, humorvolles, melancholisches Buch. Nicht nur für die Freunde von "Dick und Doof" (ich hasse diese dämliche deutsche Übersetzung) eine Sternstunde.
John Connolly "STAN" - Rowohlt 2018 - 408 Seiten -
ISBN 978 3 498 00946 5 - 24 Euro |
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James Donovan
Apollo 11
Von Sputnik bis zum "gewaltigen Sprung für die Menschheit": James Donovan erzählt die Geschichten von großen Erfolgen, tragischen Rückschlägen und von Raumflügen, die nur um Haaresbreite an der Katastrophe vorbeischrammen.
Immer wieder faszinierend: Zu lesen, mit welch aus heutiger Sicht "primitiver" technischer Ausstattung das größte Abenteuer der Menschheit zum Erfolg wurde.
Wer 1969 vor dem Schwarzweiß-Fernseher mitgefiebert hat, bekommt eine Fülle von Details nachgeliefert, die die NASA damals nicht an die große Glocke gehängt hat.
Wer erst nach 1969 das Licht der Welt erblickte, darf sich ein bisschen ärgern: Er/Sie hat das Beste des vergangenen Jahrhunderts verpasst.
James Donovan "Apollo 11" - Deutsche Verlags-Anstalt 2019 - 537 Seiten - ISBN 978 3 421 04715 1 - 28 Euro |
Tony Kent
321 - Im Kreis
der Verschwörer
Wenn der dicke Schinken mit seinen 624 Seiten in der Strandtasche noch einen Platz findet: Das ist die richtige Lektüre für den Liegestuhl am Meer. (Falls Sie derzeit nicht bis zum Strand kommen: Das Buch funktioniert auch im Garten oder auf dem Balkon.)
Die Geschichte: Bei einer Großveranstaltung in London wird der britische Außenminister erschossen. Der Attentäter kann gefasst werden, wird jedoch am nächsten Morgen tot in seiner Zelle aufgefunden. Der Mann, der ihn venommen hat, stirbt bei einem Autounfall.
Damit könnte die Geschichte zu Ende sein, ist sie aber nicht. Ein Anwalt und eine junge Journalisten machen sich auf Spurensuche und kommen einer Intrige größeren Ausmaßes auf die Spur.
Ein klassischer Actionthriller mit hohem Kopfkino-Potenzial.
Tony Kent "3 2 1 - Im Kreis der Verschwörer" - Heyne 2019 -624 Seiten - ISBN 978-3 453 43975 7 - |
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Thomas Raab
Still
"Der Tag, an dem Karl starb, war ein guter Tag." Was ist das denn für ein Romananfang? Und es kommt noch toller.
"Nur eines verschafft Karl Heidemann Erlösung von der unendlichen Qual des Lärms dieser Welt: die Stille des Todes. Blutig ist die Spur, die er in seinem Heimatdorf hinterlässt. Durch sein unfassbar sensibles Gehör hat er gelernt, sich lautlos wie ein Raubtier seinen Opfern zu nähern, nach Belieben das Geschenk des Todes zu bringen." (Klappentext)
Ein faszinierendes literarisches Portrait, große Erzählkunst, sprachlich vom Allerfeinsten. So etwas haben Sie noch nie gelesen.
Thomas Raab „Still – Chronik eines Mörders“
Droemer Knaur Verlag 2015 - 368 Seiten - 19,99 Euro - ISBN 978 3 426 19956 5
mglw. nur noch als TB erhältlich - 9,99 Euro |
Werner Ryser
Walliser Totentanz
"Im 16. Jahrhundert ist das Wallis Schauplatz im Kampf um die Vorherrschaft in Europa.
Inmitten von Krieg, Pest und der Jagd auf Hexen hat die Kräuterfrau Magdalena Capelani einen riskanten Beruf. Zwar wird ihr Wissen gebraucht, aber man traut ihr nicht: Wer sich mit den Kräften der Natur auskennt, steht mit dem Teufel im Bund.
Und tatsächlich verfügt Magdalena über ein zweites Gesicht. Sie sieht den Tod ihres Bruders voraus, der in einer der Schlachten stirbt, in denen sich Kardinal Matthäus Schiner mit dem mächtigen Volkstribun Georg Supersaxo befehdet.
Erst durch die Schlacht bei Marignano beginnt der unaufhaltsame Abstieg der Papsttreuen. Ein atemberaubendes Drama über die Geschichte der Schweiz, ein Sittengemälde der Renaissance und ein Epos über Intrige, Macht, Liebe und Überleben." (Klappentext)
Ein Roman, der mit einer Wucht daherkommt, die mitreißt und sprachlos macht. Ein literarisches Erlebnis.
Werner Ryser "Walliser Totentanz" - Nagel & Kimche 2015 - 592 Seiten - ISBN 978 3 312 00645 8 - 26 Euro |
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Paul Theroux
Mutterland
"Alle in Cape Cod halten Mutter für eine wunderbare Frau: fleißig, fromm, genügsam. Alle außer ihrem Ehemann und ihren sieben Kindern. Für sie ist sie eine engstirnige und selbstsüchtige Tyrannin." (Klappentext)
Wer schwarzen Humor liebt, der kommt in dieser bitterbösen Familienchronik voll auf seine Kosten. Da intrigiert jeder gegen jeden, dass es eiine Freude ist. Und an der Spitze der Familie zieht Mutter die Fäden und macht ihre Kinder zu hilflos zappelnden Marionetten.
Bestseller-Autor Stephen King hat über dieses Buch geschrieben: "Mutterland zu lesen ist, als sähe man einem Autounfall in Zeitlupe zu. Es ist eine bösartige Abrechnung. Und es macht Spaß."
Paul Theroux "Mutterland" - Hoffmann und Campe 2018 - 653 Seiten - ISBN 978 3 455 00290 4 - 28 Euro |
Und noch ein Klassiker zum Schluss:
Tom Sharpe
Puppenmord
"Henry Wilt ist Hilfslehrer an einer Berufsschule auf dem platten Lande, beruflich und im Eheleben tritt er auf der Stelle. Der Mittdreißiger hat es seit zehn Jahren mit künftigen Gasinstallateuren, Maurern und Fleischern zu tun, denen er die hohe Literatur näher bringen soll.
Daheim erwartet ihn seine Frau Eva, sexuell unbefriedigt und schnell für alle möglichen modischen Ersatzbeschäftigungen zu begeistern: Judo, Töpfern, Meditation. Schließlich, an einem ihrer erträglicheren Tage und durch nie zuvor gehörte Libertinage-Phrasen aufgestachelt, ist sie fest entschlossen zur Emanzipation von ihrem Gatten und lustlosen Bettmuffel.
Dass dies Wilt zum Äußersten treibt, ist nur allzu verständlich. Der Pechvogel probt den Aufstand und Mord an einer Sexpuppe, aber das hat äußerst peinliche Nebenwirkungen... " (Verlagstext)
Der Sensationserfolg, mit dem Tom Sharpe 1976 seine Wilt-Reihe und seine Karriere als Meister des durchgeknallten Wahnsinns begründete. Viele Jahre lang meine Lieblingslektüre. Einfach irgendwo mittendrin aufklappen, zwei Seiten lesen, und schon herrscht wieder gute Laune.
Tom Sharpe "Puppenmord" - Goldmann Taschenbuch 2001 - 313 Seiten - ISBN 978 3 442 44914 9 - 10 Euro |
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