Der Corona-Shutdown und seine Auswirkungen auf die Luft in Aachen zwischen dem 1. März und dem 17. April. Die Messwerte stammen jeweils von 17 Uhr. Während an der Wilhelmstraße nach dem Shutdown (rote Linie) am 18. März die Werte für die Stickstoffdioxide (blaue Linie) leicht abnahmen, aber immer noch erheblich schwankten, stiegen die Werte für Feinstaub (orange) trotz weniger Autoverkehrs sogar noch an. (Bild oben) Die blassgelben Balken markieren die Wochenenden, was die zweite Feinstaub-Spitze in der Shutdown-Phase noch mysteriöser macht. Könnte es vielleicht einfach Pollenflug gewesen sein? // Messwerte: Bundesumweltamt - Grafik: Ulrich Simons
In der Messtation in Burtscheid schwankten die Stickstoffdioxid-Werte (blau) in einem relativ engen Bereicht, wohingegen auch dort die Belastung durch Feinstäube zunahm. Auffällig ist hier der nahezu parallele Verlauf der beiden (orangen) Kurven von der Wilhelmstraße und im erheblich weniger verkehrsbelasteten Burtscheid, was die Vermutung nahelegt, dass der Straßenverkehr als Verursacher nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben dürfte. // Messwerte: Bundesumweltamt - Grafik: Ulrich Simons |
18. April 2020
Corona-Shutdown und die Umwelt:
Weniger Autos, mehr Feinstaub
Seit dem 18. März befindet sich Aachen im Corona-bedingten Wachkoma. Das öffentliche Leben ist nahezu völlig zum Erliegen gekommen. Restaurants, Sportstätten und die meisten Geschäfte haben seit Wochen Zwangspause. Gründe, mit dem Auto in die Stadt zu fahren, gibt es eigentlich im Augenblick keine, es sei denn, man arbeitete dort.
Vor allem auf den Hauptverkehrsachsen waren die Auswirkungen des Corona-Shutdowns deutlich zu beobachten. Weniger Autos + weniger Lärm + weniger Verkehr = bessere Luft? Eine naheliegende Schlussfolgerung. Doch wie gut ist Corona für die Umwelt wirklich?
Die Antwort fällt überraschend aus.
Zwei Messstellen mit unterschiedlichen Aufgaben
Das Umweltbundesamt unterhält in Aachen zwei Luft-Messstationen. Die eine steht an der Wilhelmstraße zwischen Kaiserplatz und Gottfriedstraße vor dem Suermondt-Ludwig-Museum, die andere in Burtscheid am Wendehammer der Hein-Görgen-Straße.
Während die Station an der Wilhelmstraße die unmittelbaren Auswirkungen des Straßenverkehrs auf die Luft misst, dient die Station in Burtscheid der "Hintergrundmessung" möglichst ohne Beeinflussungen durch den Straßenverkehr.
Stündlich werden die Werte für Stickstoffdioxid (NO2) und Feinstaub (PM10) gemessen. Der Tagesmittelwert von 200 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter Luft darf höchstens 18 Mal im Jahr überschritten werden, der Tagesmittelwert für Feinstaub von 50 Mikrogramm höchstens 35 Mal.
Städte, die das nicht schafften, machten in der Vergangenheit regelmäßig Bekanntschaft mit Jürgen Resch und seiner Deutschen Umwelthilfe (DUH), einem nach seiner Mitgliederzahl ziemlich unbedeutenden Abmahnverein, dessen Geschäftsführer den Sinn des Lebens darin fand, die Dieselfahrer der Nation vor sich herzutreiben und erst zufrieden war, wenn ein Gericht die verklagte Stadt mit einem Dieselfahrverbot in die Schranken gewiesen hatte, oder die Stadt (so wie Aachen) freiwillig eingeknickt war, um endlich Ruhe vor dieser Nervensäge zu haben.
Vor allem die Feinstaubbelastung zeigt einen seltsamen Verlauf
Dem Prozesshansel und seiner Gefolgschaft muss die Verkehrsberuhigung durch das Coronavirus wie ein Geschenk des Himmels vorgekommen sein. Denn Schuld an der dicken Luft waren nach Ansicht der DUH vor allem die Diesel-Pkw unterhalb der Euro-6-Norm.
Hätte der Mann Recht, dann müssten die Luftwerte in den vergangenen vier Wochen signifikant besser geworden sein. Denn wo keine Autos fahren, wird auch kein NO2 in die Luft geblasen, und es entwickelt sich auch kein Feinstaub.
Doch ein Beleg für diesen Zusammenhang lässt sich auf der Internetseite des Umweltbundesamtes nicht finden.
Wer sich die Mühe macht, die dort abrufbaren Messwerte in einer (oder mehreren) Excel-Tabellen zusammenzustellen, darf sich anschließend über ausgesprochen seltsame Kurvenverläufe nach dem Stichtag 18. März wundern.
Vor allem die Feinstaubbelastung wirft eine Menge Fragen auf. Sie verlief in den vergangenen vier Wochen an den beiden völlig unterschiedlichen Standorten tendenziell nahezu gleich und stieg nach dem Shutdown sogar noch, obwohl der Autoverkehr in dieser Zeit erheblich zurückging.
Lediglich bei der Stickstoffdioxid-Belastung war an der Wilhelmstraße ein Rückgang der 17-Uhr-Werte um knapp 50 Prozent zu beobachten. An den Wochenenden zeigte die Kurve - wie auch schon vor dem Shutdown - deutliche Einbrüche, so dass hier tatsächlich ein Zusammenhang mit dem Autoverkehr anzunehmen ist.
Über die Ursachen für den Kurvenverauf beim Feinstaub dagegen, der so gar nicht der Erwartung entspricht, sollten sich jetzt einmal die Experten (zu denen ich leider nicht gehöre) ein paar Gedanken machen.
Vielleicht war die Hexenjagd der DUH auf die Dieselfahrer ja doch ein bisschen voreilig.
Genauso gut könnte es sich bei dem "Feinstaub" der vergangenen Wochen zumindest teilweise um Pollenflug gehandelt haben. Dagegen spricht, dass Pollen zwischen 10 und 100 Mikrometer groß sind, der oben in den Grafiken dargestellte "PM10-Wert" dagegen zehn Mikrometer als obere Grenze hat. Das heißt: Die Pollen fangen erst da an, wo der Feinstaub per definitionem bereits aufhört.
Infrage käme unter Umständen auch feinster Sahara-Sand, der in der vergangenen Woche herangeweht wurde.
Nicht zu vernachlässigen dürfte ohnehin der Wind sein, der die feinen Teilchen je nach Stärke mehr oder weniger schnell wegbläst.
Es bleibt ein Rätsel.
Auch der Vergleich der Tagesmittelwerte zwichen dem 1. März und dem 18. April in den Jahren 2018 (rot), 2019 (gelb) und 2020 (grün) schafft keine Klarheit. Zwar liegt der Wert Anfang März 2020 unter den beiden Vorjahreswerten, was mit der Einführung des flächendeckenden Tempolimits in der Innenstadt zusammenhängen könnte, doch in der zweiten Monatshälfte sind die Werte zweimal deutlich über den Messwerten der Vorjahre. Auffällig ist auch, dass sich um den 20. und 27. März sowie am 9. April in allen drei Jahren deutliche Spitzen herausbilden, die aber genauso schnell wieder verschwunden sind. // Messwerte: Bundesumweltamt - Grafik: Ulrich Simons |
Vollends schräg wird die ganze Angelegenheit, wenn man liest, was das Umweltbundesamt über die einzelnen Feinstaub-Größenklassen auf seiner Internet-Seite verbreitet. Unter dem Stichwort "Gesundheitsrisiken" heißt es dort wörtlich:
"PM10 kann beim Menschen in die Nasenhöhle, PM2,5 bis in die Bronchien und Lungenbläschen und ultrafeine Partikel bis in das Lungengewebe und sogar in den Blutkreislauf eindringen. Je nach Größe und Eindringtiefe der Teilchen sind die gesundheitlichen Wirkungen von Feinstaub verschieden. Sie reichen von Schleimhautreizungen und lokalen Entzündungen in der Luftröhre und den Bronchien oder den Lungenalveolen bis zu verstärkter Plaquebildung in den Blutgefäßen, einer erhöhten Thromboseneigung oder Veränderungen der Regulierungsfunktion des vegetativen Nervensystems (Herzfrequenzvariabilität)."
Ich verstehe das so, dass die an der Wilhelmstraße gemessenen Partikel der Fraktion PM10 mit einem Durchmesser zwischen 2,5 und zehn Mikrometern viel zu groß sind, um in der Lunge Schaden anzurichten, weil sie die Bronchien gar nicht erreichen, sondern aufgrund ihrer Größe bereits in der Nase bzw. oberen Luftröhre hängenbleiben.
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