Heidemarie Ernst von der städtischen Koordinationsstelle Bushof (rechts) freut sich über den Auftritt der Straßenmusikanten Bärbel Ehlert und Roland Henning. // Foto: Stadt Aachen / Andreas Herrmann |
09. September 2020
Glossiert
Mit Geige und Gitarre
gegen die Tristesse am Bushof
Der Bushof, eine der größten städtebaulichen Fehlleistungen der vergangenen Dekaden, ist ein Ort, wo man vermutlich nicht auf die Idee käme, von Aufenthalts"qualität" zu sprechen. Wer da angekommen ist, ist froh, wenn der nächste Bus kommt, der ihn so schnell wir möglich wieder weg bringt.
Auch Matthias Dopatka, der OB-Kandidat der SPD (der auf den Wahlplakaten seine neuen Schuhe bewundert), hat das erkannt und will ihn abreißen, was mir langsam ein bisschen viel Kahlschlag in der City wird.
Die Sparkasse am Elisenbrunnen wird und wird nicht fertig, das Parkhaus am Büchel im Frühjahr plattgemacht, der alte "Horten" (später "Lust for Life") dümpelt nach dem Sinn-Absprung einer ungewissen Zukunft entgegen, die Ludwigsallee wird umgekrempelt (obwohl die Radverteilerroute über die Gräben laufen soll), demnächst fällt auch noch die Brücke an der Turmstraße jahrelang weg - und dann auch noch der Bushof: Man muss schon viel Spaß an Baustellen haben, um diese Häufung gut zu finden.
Tütchen und Flaschen
Der Bushof ist für viele Leute zu manchen Tageszeiten eine echte No-Go-Area geworden, wo sich die Dealer die Tütchen in die Hand geben und man jederzeit damit rechnen muss, von einer vorbeifliegenden Bierflasche getroffen zu werden. Leer natürlich.
Polizei und Ordnungsamt tun sich mit dem Umzug ins alte Ladenlokal an der Ecke Blondelstraße schwer, das schon vorher "Inferno" hieß, als es noch ein Ramschladen war, haben aber vor ein paar Tagen zumindest schon einmal eine Absichtserkärung unterschrieben, die die Junkies vermutlich nicht sonderlich beeindrucken wird.
Gottseidank gibt es bei der Stadt Fachkräfte, die wissen, wie man eine solche Problemlage schnell und nachhaltig in den Griff bekommt. Denn aus der Schulzeit (und der Nachbarwohnung) wissen wir: Wenn man wirklich Angst und Schrecken verbreiten will, braucht man eine Geige. In der nächsten Eskalationsstufe auch noch eine Blockflöte.
Und so vermeldete die Stadt dann am Dienstag stolz, dass man dem Problem Bushof nunmehr mit Musik zuleibe rückt. Auf dem dreieckigen Platz mit Frittenbude, Sparkassen-Filiale und Fahrrad-Verleihstation nahmen Bärbel Ehlert und Roland Henning mit Geige und Gitarre die Arbeit auf.
Initiiert hatte das Ganze Heidemarie Ernst von der städtischen Koordinationsstelle Bushof, und der erste Titel des munteren Duos war die Hannes-Wader-Ballade "Heute hier, morgen dort", was hoffen lässt, dass die Beiden nicht ewig dort stehenbleiben werden.
Übrigens einer der Gründe, weshalb Musikkapellen meistens im Gehen musizieren: Bewegliche Ziele sind schwerer zu treffen.
Kalkutta und der Bushof
Die lustigen Musikanten, so erzählt man uns, spielen zur Hebung der guten Laune "am Bushof". Dumm nur, dass man den da, wo das Foto entstanden ist, nicht mal sehen kann. Zu der Ecke an der Alexanderstraße sagen Aachener "de Hotmannspiif". (Für die Zugereisten: Das ist nicht die "heiße Männerpfeife", sondern wörtlich übersetzt der "Hauptmannslaufbrunnen".)
Das ist so ähnlich, als würde in der Rotunde des Elisenbrunnens eine Blaskapelle aufspielen, um die Stimmung am Kugelbrunnen in der unteren Adalbertstraße zu heben.
Auch das hat eine gewisse Tradition, denn schon 1960 sang Vico Torriani, der Schweizer Koch, Kellner, Schlagersänger und Quizmaster den Titel "Kalkutta liegt am Ganges", was genauso Quatsch ist wie der Bushof an der Hotmannspiif.
Kalkutta liegt am Hugli, einem Fluss im Mündungsdelta des Ganges, wobei der Hugli sich allerdings schon 300 Kilometer vorher vom Ganges verabschiedet hat. Geschenkt, der Mann hatte ja auch einen goldenen Schuss.
Es könnte einen ganz praktischen Grund geben, weshalb man die beiden Straßenmusiker nicht unmittelbar am Bushof platziert hat. Meine lebenskluge Frau brachte mich drauf: "Wenn die mit ihrem Geigenkasten an der Peterstraße stehen, und da wirft einer was rein - das ist schneller weg, als die sich bücken können."
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