|
|
Hätten Sie hinter dieser futuristischen Aufmachung einen Notarzt vermutet? Bei Großschadenslagen oder Katastropheneinsätzen schickt die Aachener Berufsfeuerwehr künftig zwei Drohnen zur Erkundung aus der Luft los. Der Leitende Tele-Notarzt (im Bild Dr. Andreas Follmann) ist per Virtual-Reality-Brille mit den Fluggeräten verbunden und kann gemeinsam mit dem Tele-Einsatzleiter per Funk seine Kollegen zielgenau und bedarfsgerecht durch das Katastrophen-Szenario navigieren. // Foto: Ulrich Simons |
aktualisiert 11. Oktober 2021
09. Oktober 2021
Zwei fliegende Augen
lotsen die Retter zum Einsatzort
Ein Verkehrsunfall auf einsamer Landstraße. Ein Unfall auf einer Baustelle mit mehreren Verletzten. Hochwasser wie im Juli. Es gibt viele Szenarien, bei denen die Helfer von Feuerwehr und Rettungsdiensten nicht genau wissen, was sie am Einsatzort erwartet. Das kann wertvolle Zeit kosten. Weshalb die Männer und Frauen der Aachener Berufsfeuerwehr künftig zwei "Kollegen" am Himmel haben, die sie bei größeren Einsätzen unterstützten.
"Virtual Disaster" haben die Macher vor zwei Jahren das gemeinsame Forschungsprojekt der Berufsfeuerwehr Aachen, der RWTH Aachen und der TEMA Technologie Marketing AG getauft, das am Samstag anlässlich einer großen Übung der Feuerwehr im Floriansdorf auf der Hörn erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.
"Dann geht demnächst die Klappe auf"
Feuerwehrchef Jürgen Wolff warf bei seiner Begrüßung einen Blick in die gar nicht mehr so ferne Zukunft: Viele Autos verfügen heute schon über eCall (das "e" steht für "emergency", also Notfall) ein System, das bei einem Unfall automatisch Hilfe herbeiruft und die GPS-Koordinaten der Unfallstelle an die Rettungsdienste übermittelt. "Dann geht bei uns demnächst auf dem Dach eine Klappe auf, und die Drohne fliegt schon mal los."
Noch während die Drohne über der Unfallstelle in der Luft stand, hat sich der Leitende Tele-Notarzt einen Blick über die Anzahl der Verletzten und die Schwere ihrer Verletzungen gemacht. Am Bildschirm hat er die einzelnen Patienten priorisiert, so dass die Helfer am Boden die Opfer nach Dringlichkeit versorgen können. Die Drohne ist inzwischen gelandet und liefert ein 360-Grad-Panorama von der Einsatzstelle. // Foto: Ulrich Simons |
Während Notarzt und Rettungswagen noch mit Blaulicht unterwegs sind, liefert die Drohne bereits via WLAN die ersten Bilder von der Einsatzstelle auf einen Hochleistungsrechner in das Fahrzeug des Einsatzleiters. Von dort werden die Daten über das Handynetz in die Leitstelle gefunkt, wo der Tele-Einsatzleiter zusammen mit einem Tele-Leitenden Notarzt die Rettungsmaßnahmen kordiniert.
So können sie bereits in einem frühen Stadium des Einsatzes wichtige Besonderheiten herausfinden und an die nachrückenden Kräfte weitergeben, ohne selber vor Ort zu sein. Das ist vor allem wichtig bei einem MANV, einem Massenanfall von Verletzten. (Ich liebe diese Abkürzungen.)
30 Minuten in der Luft
Rund 30 Minuten können die etwa 15 Kilogramm schweren Fluggeräte ihrer Arbeit nachgehen, dann ist ein Akkuwechsel fällig. Damit sie im Eifer des Gefechtes in der Luft nicht zusammenrasseln, verfügen sie über einen eingebauten Kollisionsverhinderer.
Draußen vor der Feuerwache beginnt unterdessen der Praxisteil mit dem fiktiven Programmpunkt "Verpuffung in einer Baugrube mit acht Verletzten".
Andrea Lenes und Anke Adelt vom AIXTRA, dem „Aachener interdisziplinären Trainingszentrum für medizinische Ausbildung“ an der Uniklinik haben ganze Arbeit geleistet und "Bauarbeitern" und "Passanten" mithilfe von Theaterblut und allerlei anderne Zutaten die gruseligsten Verletzungen beigebracht, um das Spektakel so realistisch wie möglich aussehen zu lassen.
Auf ihren Handys können die Einsatzkräfte den aktuellen Stand der Dinge verfolgen. Hier wurden die Verletzten bereits priorisiert. Rot sind die schweren Fälle. // Screenshot: Ulrich Simons |
|
Der "Bauarbeiter" mit der Kopfplatzwunde macht auf dem Rasen liegend noch schnell ein Selfie, der "Passant" mit dem offenen Schien- und Wadenbeinbruch erledigt auf dem Smartphone gerade noch ein paar E-Mails, da rauschen die beiden Drohnen heran.
Am Leitstand in der Feuerwache stehen derweil der Tele-Leitende Notarzt Dr. Andreas Follmann und Tele-Einsatzleiter Florian Troske und schauen sich die Bescherung in gestochen scharfen Bildern aus der Luft an, der Notarzt in seiner 3D-Brille, der Einsatzleiter auf einem großen Bildschirm.
Die laufenden Bilder sind gegenüber den bisherigen Standfotos ein enormer Fortschritt unter anderem bei der Patientensichtung. Im Livestream der Drohne kann der Arzt nämlich zum Beispiel sehen, ob ein Verletzter noch atmet.
Auch dem Navi sind die Live-Bilder haushoch überlegen, wenn wie am Samstag ein umgestürzter Baumauf die Zufahrt zum Einsatzort behindert und die Fahrzeuge umgeleitet oder die Kollegen mit der Kettensäge hinzugerufen werden müssen.
Wichtige Zusatzinformationen
Noch während die Rettungsfahrzeuge auf Anfahrt sind, kann der Tele-Leitende Notarzt auf seinem Bildschirm per Mausklick und Auswahlmenü die Behandlungsdringlichkeit der einzelnen Unfallopfer festlegen.
Falls ein Feuer zu löschen ist, bietet das System zur Einsatzunterstützung u.a. detaillierte Informationen über Standorte und Eigenschaften (Schlauchanschlüsse) von Hydranten an. Wetterinformationen geben Hinweise auf die voraussichtliche Ausbreitungsrichtung von Rauch- oder Giftwolken, so dass Warnungen an die Bevölkerung oder eventuelle Evakuierungen unverzüglich in die Wege geleitet werden können. |
An seinen Grenzen ist das neue System damit aber noch nicht angelangt. Da die Drohnen im Moment nur zwischen Sonnenauf- und -untergang nutzbar sind, gibt es bereits Überlegungen, ihnen mit Hilfe von Infrarotmodulen demnächst auch das "Sehen" bei Nacht bezubringen.
Die Projektpartner
Als Konsortialführer ist die Berufsfeuerwehr Aachen mit ca. 400 Berufsfeuerwehrleuten und knapp 600 aktiven Kameradinnen und Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr eine der größten Feuerwehren im Bereich der Euregio Maas-Rhein. Seit 2006 ist die Feuerwehr Aachen an den telemedizinischen Forschungsprojekten der Uniklinik RWTH Aachen beteiligt.
Der Lehrstuhl für Anästhesiologie vertritt an der Medizinischen Fakultät der RWTH Aachen die Disziplinen Anästhesiologie, Intensivmedizin, Schmerztherapie und Notfallmedizin in Lehre, Forschung und klinischer Versorgung. Der Acute.Care Innovation.Hub erforscht in VirtualDisaster die Potentiale eines telemedizinisch angebundenen Leitenden Notarztes bzw. Notärztin für alle katastrophenmedizinischen Aufgaben in der VR.
Das Institut für Flugsystemdynamik (FSD) ist eine Lehr- und Forschungseinrichtung der Fakultät Maschinenwesen an der RWTH Aachen. Der Fokus der Forschungsaktivitäten liegt auf der flugsystemdynamischen Auslegung und Bewertung automatisierter, unbemannter Flugsysteme sowie deren Steuerung und Regelung.
Der Lehrstuhl für Computergrafik und Multimedia des Visual Computing Institutes (VCI) der RWTH Aachen beforscht in erster Linie die automatisierte Verarbeitung von Geometriedaten, die damit zusammenhängende 3D-Modellerzeugung aus heterogenen Messdaten, sowie die Echtzeit-Visualisierung von großen Datenmengen.
Die TEMA Technologie Marketing AG ist ein weltweit tätiger Full-Service Marketing-Dienstleister für technologieorientierte Produkte und Unternehmen. Unter anderem entwickelt die TEMA Szenarien in Virtual und Augmented Reality für Marketing, Training und Instandhaltung. |
|