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Ulrich Simons

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Redakteur (1987 bis 2019)
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Carmelo Licitra

Sprachlos. "Ihnen wird vorgeworfen, vorsätzlich ein Druckwerk in Erscheinung gebracht zu haben, auf dem erforderliche Angaben, hier Adresse, fehlten", teilt das Ordnungsamt Carmelo Licitra nach einem entsprechenden Hinweis durch die Polizei mit. Der ehemalige städtische Baumpfleger ist auf dem Flyer (links) zwar als Ansprechpartner aufgeführt, Autor der Einladung zu dem "Aktions-Treffen am Baum" war er aber nicht. // Foto: Ulrich Simons

 

29. Oktober 2023

Türkische Hasel: Flyer unterm Scheibenwischer soll 35 Euro kosten

Am Ende einer an Skandalen nicht gerade armen Woche (Stichwort: "Ein Tag im Beach Club auf Kosten der Steuerzahler") tut es gut zu erfahren, dass es in der Verwaltung offenbar Fachbereiche gibt, in denen Recht und Ordnung noch nicht vollständig unter die Räder gekommen sind.

 

Unglaublicher Vorgang im Preusweg

Es ist die Nacht zum 9. Juni 2023. Während weite Teile Aachens dem kommenden Freitag entgegenschlafen, ist eine Funkstreifenbesatzung gegen 2.15 Uhr im Preusweg unterwegs und macht dort eine verdächtige Entdeckung: Unter den Scheibenwischern mehrerer abgestellter Fahrzeuge klemmen dubiose Flyer.

Die beiden Beamtinnen an Bord des Einsatzfahrzeuges, eine Kommissarin und eine Kommissaranwärterin, fackeln nicht lange und nehmen unverzüglich die Ermittlungen auf.

Ein Blick auf das entfaltete Blatt genügt: Es handelt sich um eine Einladung zu einem "Aktions-Treffen am Baum", das am gleichen Tage um 10 Uhr an der Türkischen Hasel Ecke Lütticher Straße/Hohenstaufenallee stattfinden soll.

Der Baum mit der markanten Pyramidenform, geschätzt mindestens 100 Jahre alt und bis vor wenigen Jahren ein Prachtexemplar seiner Art, hat zwar den kompletten Zweiten Weltkrieg überlebt, nicht aber den Neubau eines Wohnblocks an der Straßenkreuzung und ist mutmaßlich infolge Wassermangels im Juni 2023 nur noch ein Gerippe.

 

Hohenstaufenallee - Türkische Hasel

Ein Bild aus besseren Tagen: Die Türkische Hasel an der Ecke Hohenstaufenallee/Lütticher Straße vor dem Abriss der Grundstücksmauer und dem Beginn der Ausschachtungsarbeiten für die Tiefgarage des Neubaus. Der Stammumfang in einem Meter Höhe beträgt rund drei Meter, den Durchmesser des Wurzelballens schätzt Baumexperte Carmelo Licitra auf 15 Meter. // Foto: Archiv Ulrich Simons (10.11.2019)

 

Einige darüber sehr traurig gestimmte Anwohner wollen den schönen Baum jedoch nicht so einfach aufgeben und denken über geeignete Maßnahmen nach, um ihn zu reanimieren. Einer von ihnen ist Carmelo Licitra, ehemaliger Baumpfleger.

42 Jahre lang hat der gebürtige Sizilianer (Jahrgang 1958) in Diensten der Stadt Aachen gearbeitet, zunächst als Gärtner auf dem Waldfriedhof, später beim Grünflächenamt, am Ende bis zu seiner Pensionierung im Juni 2023 dann bei der städtischen Baumkolonne. (Meine Ex-Kollegin Margot Gasper hat im August 2018 zu seinem 60. Geburtstag ein sehr schönes Portrait von ihm in den Aachener Nachrichten geschrieben.)

 

"Verstoß gegen das Landespressegesetz"

Die beiden nachtaktiven Polizistinnen konfiszieren einen der Flyer als Beweismittel und entdecken im Schein ihrer Taschenlampen in der Einladung einen geradezu unglaublichen Rechtsverstoß. Doch der vermeintlich Schuldige ist schnell ausgemacht.

Denn auf dem DIN-A4-Blatt finden sich Carmelo Licitras Name und die Berufsangabe "ehemaliger Baumpfleger der Stadt Aachen" - allerdings mit dem Präfix "Info", und auch das nur, weil Licitra sich in der Gruppe der Baumfreunde aus der Nachbarschaft aufgrund seines jahrelang ausgeübten Berufes mit Bäumen am besten auskennt.

Die Polizistinnen schließen aus dem "Info"-Verweis ebenso messerscharf wie falsch, das Licitra der Urheber des Flugblattes ist. Für den kommt es jetzt knüppeldick: Denn auf dem Flyer fehlt ein angeblich wichtiges Detail: die Anschrift des Verfassers. So verlangt es das Landespressegesetz von jedem, der "ein Druckwerk in Erscheinung bringt".

Wörtlich heißt es im Landespressegesetz NRW vom 24.05.1966 unter § 8 (1) "Impressum", auf den sich das Ordnungsamt beruft:

(1) Auf jedem im Geltungsbereich dieses Gesetzes erscheinenden Druckwerk müssen Name oder Firma und Anschrift des Druckers und des Verlegers, beim Selbstverlag des Verfassers oder des Herausgebers genannt sein.

Carmelo Licitra ist allerdings weder der Verfasser noch der Herausgeber ("Ich kann gar nicht so gut Deutsch, und einen Computer habe ich auch nicht.") des Flugblattes, sondern allenfalls der Verteiler. Und das ist nicht strafbar, selbst wenn auf dem Flyer die Adresse des Verfassers fehlt.

 

Fachbereich offenbar nicht ausgelastet

Die übereifrigen Damen aus dem Streifenwagen fertigen pflichtgemäß eine Anzeige zu dem Vorgang und bringen damit eine Lawine ins Rollen.

Denn jetzt übernimmt der Fachbereich "Sicherheit und Ordnung" der Stadt den Fall. Und dort scheint man im Gegensatz zu vielen anderen städtischen Dienststellen noch über genug Personal und ausreichend Kapazitäten zu verfügen, um derartige Lappalien weiter zu verfolgen.

Bereits zwei Monate nach dem nächtlichen Polizeieinsatz im Preusweg, am 2. August 2023, landet im Briefkasten der Eheleute Licitra Post von der ehemaligen Arbeitgeberin des Hausherren: Der Fachbereich "Sicherheit und Ordnung" der Stadt Aachen hätte gerne von ihm für die fehlende Anschrift auf dem Flyer aus dem Preusweg 35 Euro.

 

Türkische Hasel Hohenstaufenallee

In menschlichen Kategorien "nur noch Haut und Knochen": Die Türkische Hasel an der Ecke Hohenstaufenallee / Lütticher Straße. Die bunten Bänder und das rot-weiße Flatterband hat die Stadt inzwischen entfernt, demnächst muss der Baum wohl gefällt werden. // Foto: Archiv Ulrich Simons (14.07.2023)

 

Der Beschuldigte ist allerdings unmittelbar nach seiner Verrentung Anfang August zu einem längeren Urlaub in seine sizilianische "Immer-noch-irgendwie-Heimat" aufgebrochen und wird erst Mitte Oktober in Aachen zurückerwartet.

Das teilt seine nicht mitgefahrene Frau in einem Schreiben vom 5. August 2023 der Sachbearbeiterin im Ordnungsamt mit und bittet, die Angelegenheit bis dahin ruhen zu lassen. Sofort nach seiner Rückkehr werde sich ihr Mann melden.

 

Die Ordnungsamts-Mitarbeiterin bleibt hart

Das tut er wie angekündigt am 19. Oktober, kann die für Recht und Ordnung zuständige Mitarbeiterin der Stadt aber offensichtlich nicht überzeugen. Während seiner aktiven Zeit bei der Stadt als Vertrauensmann der Gewerkschaft Verdi, als Mitglied im Personalrat oder während der Zeit im städtischen Integrationsrat habe niemand bemängelt, wenn auf Flugblättern nur sein Name, nicht aber auch noch die Adresse angegeben war. Für Carmelo Licitra tun sich hier zudem gewisse Widersprüche zum Datenschutz auf.

Die Dame vom Ordnungsamt bewegt sich keinen Millimeter, behauptet in ihrem Schreiben in rüdem Ton, der Flyer sei "mit dem Namen Carmelo Licistra (!), ehemaliger Baumpfleger der Stadt Aachen" unterzeichnet gewesen und verhängt wegen der fehlenden Anschrift ein Verwarnungsgeld in Höhe von 35 Euro, zahlbar innerhalb einer Woche.

 

Hohenstaufenallee Tiefgarage

Im Oktober 2020 wird unmittelbar neben der Türkischen Hasel (links oben) die Baugrube für die Tiefgarage ausgeschachtet. Carmelo Licitra ist überzeugt, dass die Baumaßnahme das Wurzelwerk irreparabel beschädigt hat, was in der Folgezeit zum Tod des Baumes führte. // Foto: Archiv Ulrich Simons (09. Oktober 2020)

 

Carmelo Licitra ist untröstlich. "Der Baum hätte nicht sterben müssen. Das hätte nie passieren dürfen." Die "Rettungsaktionen" der Stadt mit Dünger, Wassersäcken und gebohrten Bewässerungslöchern in der Baumscheibe seien viel zu spät gekommen.

"Ein Baum dieser Größe braucht 1000 Liter Wasser am Tag", verrät der Baumexperte. Im Übrigen sei das Prachtstück bis zum Baubeginn im Herbst 2020 kerngesund gewesen. Kein Pilz, keine sonstige Erkrankung. Nichts. "Es war der schönste Straßenbaum in ganz Aachen."

Jetzt sei er mausetot und stelle eine erhebliche Unfallgefahr dar. "Der Baum muss weg, die Unfallgefahr ist zu groß, das ist zuviel totes Holz." Man merkt dem ehemaligen Baumpfleger an, wie schwer ihm dieser Satz fällt. "Er hatte genug Platz und genug Licht: Wer weiß, wie lange dieser Baum noch gelebt hätte."

Unangenehmer Nebeneffekt für die Bewohner des Hauses: Seit die schattenspendende "Klimaanlage" vor der Tür kaputt ist, knallt die Sonne ungebremst in ihre Wohnungen. Nicht jeder mag so etwas.

 

Landespressegesetz gilt offenbar für die Stadt nicht

Mittlerweile hat die Initiative zur Rettung des Baumes Bürgermeisterin Hilde Scheidt (Grüne) eingeschaltet. Die verwendet in ihrer Antwort unter anderem die Begriffe "sprachlos" und "Schildbürgerstreich".

An dem Baum hing übrigens monatelang ein Flyer (auf der umstrittenen Einladung abgebildet) mit einem Foto der Baumhasel und dem grammatikalisch falschen, dafür aber fettgedruckten Titel "Ein Versuch ist es wert!".

Darunter eine Auflistung, welche Maßnahmen zum Erhalt der Baumhasel vorgenommen wurden. Auch dies ist zweifellos ein öffentlich in Erscheinung gebrachtes Druckwerk. "Unterzeichnet" ist es mit dem Logo des Aachener Stadtbetriebs. Ohne Anschrift.

Wer genau hinsieht, kann übrigens auch feststellen, dass der Verwarnungsgeldbescheid des Fachbereiches Sicherheit und Ordnung eine falsche Absenderangabe enthält. Im Briefkopf steht neben dem Logo der Stadt Aachen: "Der Oberbürgermeister".

Um die Sache nicht noch weiter eskalieren zu lassen, hat Carmelo Licitra das Verwarngeld inzwischen bezahlt. Die Fassungslosigkeit über den Vorgang ist geblieben: "So geht eine Stadt nicht mit ihren Bürgern um."

Mit dem "Öcher Jong aus Sizilien" schon gar nicht.

 

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© Ulrich Simons
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