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"Hach, ist der Rasen schön grün!" - Das Geläuf im Reitstadion des Aachen-Laurensberger Rennvereins (ALRV) ist das einzige Aachener Heiligtum, das nicht im Dom aufbewahrt wird. // Foto: ALRV - Andreas Steindl |
04. Juli 2020
Es grünt so grün: Wie die ALRV-Profis
ihren Rasen durch den Sommer bringen
Sommer, Sonne - und der Rasen hat Stress. Viele Gartenbesitzer stehen in diesen Tagen wieder mal vor dem Problem, ihr geliebtes Grün über die heißen Sommermonate retten zu müssen. In der Soers ist der Rasen immer grün. Das hat nur leider in diesem Jahr keiner mitbekommen, weil das Turnier wegen Corona ausfallen musste.
Und es ist nicht allein die Farbe. Klee, in vielen Gärten ein lästiger Gast, muss man hier genauso mit der Lupe suchen wie Gänseblümchen oder Löwenzahn. Wie machen die das?
Frank Kemperman, seit 1994 Vorsitzender des Aachen-Laurensberger Rennvereins (ALRV) und CHIO-Turnierdirektor,
hat mir verraten, was für ein gewaltiger Aufwand dahintersteckt.
Herr Kemperman, vor 50 Jahren, vom 10. bis 12. Juli 1970, erlebte der „heilige Rasen“ in der Soers seine bisher wohl dunkelste Stunde ...
Frank Kemperman: ... Unwetter?
Noch schlimmer. 50.000 „Blumenkinder, Hippies und Gammler“ (so die Aachener Lokalpresse) trafen sich im Reitstadion zu einem dreitägigen Open Air Pop Festival. Das Line-Up war sensationell, u.a. spielten Deep Purple, Pink Floyd, T. Rex, Golden Earring, Mungo Jerry, Kraftwerk und die Spencer Davis Group.
Frank Kemperman: Ich kenne das nur vom Hörensagen. Aber ich war Direktor der Pferderennbahn in Landgraaf, als dort zum ersten Mal das Pinkpop-Festival stattfand. Da hab ich gesehen, was die Besucher so anstellen. Als die weg waren, steckten Hunderte Nadeln tief im Gras - und die hatten sich keine Vitamine gespritzt. Abends hatten sie kleine Lagerfeuer auf dem Rasen angezündet, das sah aus - unglaublich.
Ist die Reaktion des damaligen ALRV-Präsidenten Albert Vahle überliefert, als er sah, was die „Gammler“ mit seinem Rasen angerichtet hatten? Angeblich hat man hier noch wochenlang eingetretene Cola- und Bierdosen aus dem Gras entfernt.
Frank Kemperman: Sie ist nicht wörtlich überliefert, aber vermutlich hat er gesagt: Nie wieder! |
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Pop-Festival 1970: Menschenmassen im Innenraum. Dabei hatten die Veranstalter versprochen, dass niemand den "heiligen Rasen" betreten würde, was sich als ziemlich undurchführbar erwies. Im Hintergrund das alte Richterhaus und die Pressetribüne und die Konzertmuschel, in der die EBV-Kapelle unter Johann Daichendt beim Turnier immer live die Nationalhymnen der Sieger spielte. // Foto: Stadt Aachen
Die Fortsetzung des oberen Bildes nach links zeigt im Hintergrund die ehemalige Haupttribüne. // Foto: Stadt Aachen |
Das Reitstadion des ALRV misst 150 mal 120 Meter, das sind 18.000 Quadratmeter oder 1,8 Hektar. Das ist aber nicht die größte bewirtschaftete Rasenfläche in Aachen, oder?
Frank Kemperman: Bei weitem nicht - der Golfclub am Schneeberg hat ein wesentlich größeres Gelände. (Anm.: Ich hab nachgefragt, der Golfplatz misst 54 Hektar.)
Irgendjemand aus Ihren Reihen hat vor Jahren herausgefunden, dass hier 358.310.400 Grashalme im Wind schaukeln. Das wären (:18.000 Quadratmeter) 19.906 Halme pro Quadratmeter und (:10.000 weil ein Quadratmeter 10.000 Quadratzentmeter hat) 1,99 Grashalme pro Quadratzentimeter. Kommt mir etwas wenig vor ...
Frank Kemperman: Mein Pressesprecher Niels Knippertz hat das mit seinem Team ausgerechnet. Die haben ein zehn mal zehn Zentimeter großes Post-It auf den Rasen gelegt, haben geguckt, wie viele Halme darunter sind und haben das dann hochgerechnet.
Ist das immer noch der Weltmeisterschaftsrasen von 2006?
Frank Kemperman: Wir haben nach der WM die Drainage modernisiert, und nach der EM 2015, wo wir das Dressur-Viereck ins Hauptstadion verlegt hatten, haben wir den Platz komplett neu eingesät.
Wie viele Plätze wie Aachen gibt es überhaupt noch?
Frank Kemperman: Es gibt immer weniger Rasenplätze in der Welt. Hickstead und Dublin haben sie noch, Rom ändert es gerade, aber leider verschwinden die Rasenplätze immer mehr. Der Sport findet zunehmend auf Sandplätzen statt, auch die großen Championate, selbst Olympia. Auf Sand ist man flexibler. Da kann man einen Tag Dressur und am nächsten Tag Springen machen.
Hat das auch etwas mit dem Pflegeaufwand zu tun?
Frank Kemperman: Der Pflegeaufwand ist enorm. Wenn wir hier in der Soers ein Turnier hatten, braucht der Rasen rund vier, fünf Wochen zur Regeneration. Die Löcher werden aufgefüllt, und dann wird der Platz komplett abgezogen und neu eingesät, damit wir vor dem Winter mindestens sieben bis acht Zentimeter Wurzellänge haben.
Golf hatten wir schon, nebenan wird Fußball gespielt, hier wird geritten: Welcher Rasen wird am meisten beansprucht?
Frank Kemperman: Die Fußballer spielen natürlich mindestens 20 Heimspiele pro Jahr, aber die haben eine komische Eigenschaft: Wenn schönes Wetter ist, sind die in Urlaub, und wenn schlechtes Wetter ist, spielen die. Das ist auch für die Zuschauer komisch - die sitzen auf der Tribüne und frieren. Und dann spielen die immer zu Zeiten, in denen es in der Natur kein Wachstum gibt.
Da sind Sie besser dran ...
Frank Kemperman: Unser Turnier ist im Sommer, das ist ideal, denn danach haben wir ein Jahr lang Zeit, um alles wieder in Ordnung zu bringen. Bei uns wird der Rasen mehr strapaziert, und bei uns gehen die Pferde auch tiefer rein. Stellen Sie sich einfach vor: Ein Pferd wiegt rund 600 Kilo, und je nach Springen und Starterfeld landen bis zu 60 Pferde nach dem Sprung auf der gleichen Stelle. Das sind schon schwerere Schäden, die da am Rasen entstehen, als beim Fußball.
Das klingt nach anspruchsvoller Aufgabe nicht nur für den Rasen, sondern auch für den Unterbau?
Frank Kemperman: Der Boden braucht Stabilität plus Federkraft. Das Pferd darf auf nassem Boden in den Kurven nicht wegrutschen, andererseits muss er nachgiebig genug sein, damit die Gelenke der Tiere keinen Schaden nehmen. Unser Boden ist in mehreren Etagen aufgebaut: Unter dem Rasen folgt die Tretschicht aus Lava, Sand, Torf und Substraten. dann kommt eine Lage Lavaschotter, eine Lage grober Kies und ganz unten die Drainage.
Und nach dem Turnier kaufen Sie gegenüber im Bauhaus die Bestände an Rasen-Reparaturmischung auf?
Frank Kemperman: Unser Rasen im Springstadion kommt von einer Spezialfirma aus den Niederlanden, die in Europa im Reitsport sehr viel Erfahrung und auch schon unseren WM-Rasen von 2006 geliefert hat. Die machen auch zum Beispiel den Fußball-Rasen beim PSV Eindhoven. |
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Der Turnierbesucher sieht nur die oberste (Gras-) Schicht: Der Bodenaufbau im Reitstadion in der Soers ist eine Wissenschaft für sich. // Foto: ALRV |
Es gibt hier im Stadion Bereiche wie vor der Stawag-Tribüne, die früh am Tag im Schatten liegen, und andere, wie vor der Mercedes-Benz- oder der Turkish-Airlines-Tribüne, auf die bis abends gnadenlos die Sonne knallt. Trotzdem wächst der Rasen gleichmäßig. Ist das eine Frage der Pflege oder der Grasmischung?
Frank Kemperman: Beides. Da wird eine andere Grasmischung eingesät, aber auch die Bewässerung und die Düngung sind anders als auf dem Rest des Platzes.
Wie viele Gärtner kümmern sich um den Rasen?
Frank Kemperman: Wir haben seit dem Abschied von Rolf Zillekens, der 40 Jahre unser Facility Manager war, zwei festangestellte Mitarbeiter, die sich unter anderem um die Rasenpflege kümmern, dazu einige Aushilfen.
Ist das ein Ganzjahres-Job oder machen die irgendwann im Herbst Feierabend und kommen im Frühjahr wieder?
Frank Kemperman: Die arbeiten durch. Wir haben hier im Dezember bei 17 Grad schon den Rasen gemäht. In diesem Jahr war alles anders. Nachdem die Entscheidung gefallen war: Es gibt kein Turnier, haben wir auch das Pflegeprogramm etwas zurückgefahren. Das Düngeprogramm ist gestoppt, und es wird auch weniger bewässert.
Lesen Sie im zweiten Teil:
Der Dreikampf des Gärtners: mähen - wässern - düngen
Anderthalb Meter Rasen mit einem Schnitt
In München tippt der Facility Manager aufs Handy - und in Aachen startet die Beregungsanlage
Was passiert mit dem Rasenschnitt?
Warum Rollrasen keine Alternative ist.
Und:
2500 Schäferhunde auf drei Beinen
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